Leseprobe

8 Es liegt nahe, hier einen Seitenblick auf Goethes Farbenlehre zu werfen. Aus der Perspektive der Physik lag er gewiss falsch, wenn er gegen Newtons These von dem in sieben Spektralfarben zerlegbaren weißen Licht polemisierte. Aber er meinte auch etwas anderes: die Qualität der Farben gegen ihr bloß quantifizierendes Zerlegen in Spektren. Goethe steht auf dem Standpunkt der Magie, aus der bis heute alle Kunst schöpft, wenn er in den Farben »Taten des Lichts, Taten des Leidens« sieht. Womit gleich noch ein weiteres Feld eröffnet wird: das von Fläche und Raum in Dieter Goltzsches »Schwarz- bildern«. Auch dies ist ein Übergang, den zu erforschen es des experimentellen Zusammenspiels von Stift und Pinsel, Fläche und Linie bedarf. Von der Schraffur gar nicht zu reden! Denn in jedem Bild wohnt auch die Geometrie. Da sind Kreise bis hin zum radikalen Punkt. Linien, die sich ins Unsichtbare hin verschlanken oder zur Fläche hin verbreitern. Aber eben auch Dreiecke und Vierecke. Letztere liegen Goltzsche besonders am Herzen. Ein Viereck wolle immer etwas, es ist engagiert, drängt auf Veränderung hin. Man muss das Viereck »emanzipieren«, um so sich selbst anders zu begegnen. Das führt zu Wassily Kandinsky, der in seinem Aufsatz Über Bühnenkomposition schrieb: »Jede Kunst hat ihre eigene Sprache, d. h. die nur ihr eigenen Mittel. So ist jede Kunst etwas in sich Geschlossenes. Jede Kunst ist ein eigenes Leben. Sie ist ein Reich für sich.« Ist damit gesagt, dass Kunst hermetisch ist, ohne Wechselbeziehung zu einer außerhalb ihrer liegenden Rea- lität? Dieter Goltzsche thematisiert dieses Problem als das einer Grenze zwischen Anschauung und Abstraktion, zwischen denen es immer wieder zu einem »Entgrenzen«, also einem Austausch kommen muss – und sei es punktuell, augenblickshaft. Das führt in die Regionen der Goethe noch wohlvertrauten Unio mystica, jener Einheit von Schöpfer und Schöpfung, der jedoch immer ein skeptisches Moment innewohnt, ein Kontrapunkt in aller Harmonie. Die große Leere Gott Ins Offene schrieb Erich Arendt, der große Surrealist, für seinen letzten Gedichtband entgrenzen von 1981. Nach Peter Huchels Weggang aus der DDR wohnte er in dessen Haus in Wilhelmshorst. Ein Altersgedicht des damals achtundsiebzigjährigen Dichters. Gerhard Wolf sagte ihm die Kunst nach, sich schreibend zu verjüngen. Oder anders, immer wieder die Konfrontation des unsterblichen Gegenübers (das Meer!, der Stein!, der Himmel!) mit dem eigenen, sterblichen Ich zu wagen. Ohne Furcht davor, unverständlich zu erscheinen. Wie das Unsag- bare dennoch sagen? Wenn man für »sagen« das Wort »zeigen« nimmt, dann ist man bei Dieter Goltzsche, dem Schöpfer von Gegenwelten, die ebenso dem Mikro- wie dem Makrokosmos anzugehören scheinen. Den Dichter verbindet mit dem Grafiker, Zeichner und Maler jene weltumstürzende wie weltaufbauende Kraft, die das »Dennoch« birgt. Im Gedicht Ins Offene verschmelzen »sagen« und »zeigen« – und das führt auch ins Zentrum der Arbeit von Dieter Goltzsche. Arendt war als ein verknappender Wortbildner visionär, sein »Ins Offene« ist immer »ein Lichtverhaften«. ® Der Holunder öffnet die Monde (P. Huchel) · 1988 Feder, Tusche auf Zeichenpapier 29,6×21 cm

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