Leseprobe
103 Sozialformationen für die Künstlersteinzeichnungen wichtigen Kontext der Heimatkunst einordnen. Für diese Münchener Variante der Künstlersteinzeichnung stehen auch die beim kaum be- kannten Verlag Hubert Köhler erschienenen Blätter und Postkartenserien von Hans Röhm, Josef Seiler, Ferdinand Spiegel, Curt Ullrich und vor allem auch von Paul Hey, des- sen bei Köhler erschienene frühe Arbeiten sich noch deut- lich am Münchener »Jugend«-Stil orientierten. Wenn man mit Blick auf die zuletzt genannten Künstler von einem Münchnerischen Stil spricht, so kann man mit gleichem Recht für einige aus der Schule von Gotthardt Kuehl stammende Künstler von einer Dresdner Stilrichtung sprechen. Kuehl hatte 1895 die Landschaftsklasse an der Dresdner Kunstakademie übernommen. 267 Die Berufung war eine Reaktion auf den 1893/94 auch in Dresden er- kennbar gewordenen, die Reformbedürftigkeit der Akade- mieausbildung indizierenden Sezessionismus, der mit der Gründung eines in Opposition zur konservativen Kunstge- nossenschaft stehenden Vereins Bildender Künstler Dres- den manifest geworden war. Die Ernennung Kuehls zum Akademieprofessor war also durchaus ein Politikum, und die damit einhergehende Öffnung zu einer gemäßigten Mo- derne wirkte auf die konservative Dresdner Kunstpolitik provozierend. Bei einer aus Anlass einer internationalen Ausstellung gewährten Audienz wurde Kuehl jedenfalls noch Jahre nach seiner Berufung vom sächsischen König coram publico kritisiert; der gleichfalls teilnehmende Künstlerkollege Leopold von Kalckreuth soll dabei laut ge- äußert haben, er werde das Schloss nie wieder betreten. 268 Mit Kuehl hielt ein am französischen Impressionismus geschulter Malstil in Dresden Einzug. 269 Seine lichtdurch- fluteten Interieurs und seine stimmungsvollen Dresdner Stadtansichten, die eine Atmosphäre fast schon eleganter Urbanität ausstrahlten, unterschieden sich nach Stil und Inhalt nicht unerheblich von den Werken Carl Bantzers, des zweiten Modernisierers des Dresdner Kunst- und Akade- miebetriebs. 270 Wie Kuehl, mit dem ihn eine enge Zusam- menarbeit verband, war auch Bantzer vom französischen Impressionismus beeindruckt und hatte sich 1883 und 1892 in Paris aufgehalten. 271 Bantzer, der zu den führenden Köpfen des sezessionistischen Vereins Bildender Künstler gehörte, 1896 an der Dresdner Akademie eine Malklasse übernahm und als akademischer Lehrer die Hinwendung zur Freilichtmalerei propagierte, war also durchaus mo- dern. Seinen Bildern sieht man diese Neuererrolle zumin- dest aus heutiger Perspektive nur mehr bedingt an. Die im Vergleich zu Kuehl »größere Erdenschwere der Farben«, 272 die immer wieder auf die Landschaft seiner hessischen Heimat und die bäuerliche Lebenswelt Bezug nehmende Carl Bantzer, Abendmahl in einer hessischen Dorfkirche (H 70 cm, B 100 cm), R. Voigtländer, Leipzig, Nr. 116, ca. 1903
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1