Leseprobe
129 Verlage vertraten den Anspruch, Originalgrafik zu vertreiben, entgegen der Suggestion der individuellen Herstellung in kleiner Auflage setzten sie indes auf die hohe Auflagen und Verkaufszahlen ermöglichende Drucktechnik der Lithogra- fie sowie die Schnellpresse. Der zweite Grund, warum zu- letzt auf die kunstgewerbliche Möbelproduktion eingegan- gen wurde, ist eine gewisse Kongruenz der Käuferkreise von modernen Möbeln und Künstlersteinzeichnungen. Zumin- dest haben die Hersteller bzw. Künstler selbst diese Kom- patibilität gesehen und gefördert, wie durch Abbildungen im »Jahrbuch des Deutschen Werkbundes« nahegelegt wird; so ist beispielsweise neben einem Bücherschrank der Dresdner Werkstätten für deutschen Hausrat ein Ausschnitt von Walter Georgis großformatiger Künstlersteinzeichnung »Postkutsche« erkennbar. In die gleiche Richtung weist der Katalog der mit ihrer Mitgliedschaft im Deutschen Werk- bund werbenden Pappenheimer Ofenfabrik Glöckel & Ruk- wid, deren dem Jugendstil verpflichtete Kachelöfen von Künstlersteinzeichnungen flankiert werden. links: Bibliothek, rechts im Bild erkennbar: Walter Georgi, Post- kutsche (B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 76), aus: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, 1912 rechts: Katalog der Ofen- fabrik Glöckel & Rukwid mit einer Nachzeichnung von Hans Beat Wieland, Letztes Leuchten (B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 70), Pappenheimer Ofenfabrik Glöckel & Rukwid, Pappenheim, 1914 auf die ästhetische Durchdringung aller Lebensbereiche abzielte; vom Sofakissen bis zum Städtebau sollte nach einem im Deutschen Werkbund verbreiteten Bonmot die Produktpalette reichen. 339 Die vom – 1907 in München gegründeten – Werkbund angestrebte »Veredelung der gewerblichen Arbeit« und die Kritik der Kunstgewerbebewegung an der industriellenMas- senfertigung waren durchaus ambivalent bzw. führten schon früh zu Richtungsstreitigkeiten über einen sinnvollen und begrenzten Einsatz von Maschinen, wie er von keinem Ge- ringeren als William Morris, dem Inspirator des Arts and Crafts Movement, befürwortet worden war. In Deutschland kulminierte dieser Richtungskampf 1914 im sog. Typen- oder Werkbundstreit zwischen Henry van de Velde und dem des Opportunismus gegenüber der Industrie bezichtigten Her- mann Muthesius, bei dem es um den Gegensatz von indi- vidueller Einzelproduktion und serieller maschineller Pro- duktion ging. 340 Faktisch hatten die kunstgewerblichen Pro- duktionszentren zu diesem Zeitpunkt freilich schon längst den Schulterschlussmit der Maschinenproduktion gesucht: In Dresden-Hellerau hatte Karl Schmidt bereits 1906 einMa- schinenmöbelprogramm entwickelt, das im gleichen Jahr auf der Dresdner Kunstgewerbeausstellung präsentiert wur- de, 341 und auch Richard Riemerschmid und Bruno Paul ex- perimentierten mit typisierten Elementen; 1908 begannen die Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk in München mit der Herstellung von sog. Typenmöbeln. Die Möbelproduktion wurde zuletzt aus zweierlei Grün- den erwähnt. Zum einen finden wir hier einen Grundkonflikt der Kunstgewerbebewegung angelegt: das Spannungsfeld von künstlerischer Individualität und serieller, auf einen Markt mit größerem Abnehmerkreis berechneter Produktion, das auch bei den grafischen Künsten und hier insbesondere bei den Künstlersteinzeichnungen eine Rolle spielte. Deren Hans Beat Wieland, Letztes Leuchten (H 70 cm, B 100 cm), B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 70, ca. 1905
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