Leseprobe
131 Diskurse, Motive und Stile einer bereits auf dem 1. Kunsterziehungstag 1901 in Dres- den gestellten Forderung: »man hole« für die Ausstattung der Schulen »die ersten Künstler der Stadt heran, die hof- fentlich noch einsehen lernen, daß es vorteilhafter ist, Kunst zu treiben in Verbindung mit der Baukunst statt Ta- geblattruhm in den Kunstausstellungen zu holen«. 352 Und – auch das war ja ein prominentes Thema das Dresdner Kunsterziehungstages – neben diesen dekorati- ven Elementen gehörte in den Klassenzimmern eben auch der Bildwandschmuck, insbesondere die Künstlerstein- zeichnung, zu den zentralen Ausstattungselementen: »Bei denWandbildern, die jetzt gewissermaßen als etwas Neues allmählich und langsam in unser Schulwesen eingeführt werden sollen, handelt es sich vorwiegend umdenSchmuck der Schulräume. Es soll den Kindern der Aufenthalt in der Schule [ ...] in erster Linie heiter und freundlich gestaltet werden. Das Anschauungsvermögen der Kinder soll entwi- ckelt und ihr Geschmack geläutert werden, damit das Be- dürfnis nach einer künstlerischen Gestaltung der Umge- bung auch weiterhin beim Verlassen der Schule mit ins Leben hinübergenommen werde.« 353 Der damit angedeutete Impetus einer eigenständigen künstlerischen Aktivität des Kindes schlug sich in den Lehr- plänen auch in einer Aufwertung der ›kreativen‹ Fächer und im Schulhausbau in der Einrichtung von Zeichensälen nie- der. Zugleich öffnete sich die in ihren Anfängen eher auf das höhere Schulwesen fokussierte Kunsterziehungsbewegung auch der Volksschule und wollte die künstlerische Begabung aller Kinder fördern. Bereits 1898 wurden in der von Alfred Lichtwark als einemder Wortführer der Bewegung geleiteten Hamburger Kunsthalle freie Kinderzeichnungen ausgestellt, d. h. dem naiven, zumindest vorgeblich von Lehrern nicht oder nur wenig beeinflussten künstlerischen Schaffen von Kindern wurde Museumsreife attestiert. 354 Der Münchener Stadtschulrat und Reformpädagoge Georg Kerschensteiner trat dann wenig später, 1904/05, mit Untersuchungen zum zeichnenden Kind und zur Entwicklung der zeichnerischen Begabung hervor. 355 Gerade im autoritären Klima der Wilhel- minischen Epoche waren das starke Signale, denn hinter der Entdeckung des noch unverbildeten »Genius des Kindes« – so der Titel einer wesentlich später, 1921/22, in der Mannhei- mer Kunsthalle durchgeführten Ausstellung 356 – stand letzt- lich die emanzipatorische Auffassung, dass Kunstsinn und künstlerische Kreativität nicht nur eine Angelegenheit der gebildeten Stände, sondern auch in der Breite zu finden und zu fördern seien. In diesem Sinne folgten bis in die 1920er Jahre zahlreiche weitere psychologische und pädagogische Studien sowie Praxisversuche. Stellvertretend dafür sei nur auf denWiener Reformpädagogen Franz Cizek verwiesen, der großen Einfluss auf die englische Child Art-Bewegung aus- übte, als er 1922 in deutscher und englischer Parallelaus- gabe einWeihnachtsbilderbuch vorlegte, dessen Farblitho- grafien von Kindern entworfen worden waren. 357 über diese Periodika also vorzugsweise das Marktsegment Haus erreicht, indirekt aber auch die Schule, stellte doch die Lehrerschaft, zusammen mit den Geistlichen, knapp die Hälfte der »Kunstwart«-Gemeinde. Gleichwohl galt es, das mit dem Begriff der »Kunstwartgesinnung« 346 recht gut um- schriebene Programm der ästhetischen Erneuerung und sittlichen Veredelung durch Kunst auch in die Richtung der nachwachsenden Generation zu vertiefen und die Schulen und die Schulkinder direkt zu erreichen. Angesprochen sind damit die Reformpädagogik und insbesondere die Kunsterziehungsbewegung um 1900 347 und deren Ansatz, das Kind nicht in das monotone Schema der Lernschule zu pressen, sondern es in altersgemäßer Form in seiner Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und die Kluft zwi- schen Schule und Leben zu verringern. Wenngleich die praktische Umsetzung dieser Zielsetzung weniger eine An- gelegenheit des öffentlichen Schulwesens war, sondern eher in privaten Versuchsschulen erfolgte, so deutete sich doch auch im öffentlichen Raum bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine Wende an. Gemeint ist damit der Schulhausbau, für den beispielsweise der Dresdner Stadt- baurat Hans Erlwein neue, Tradition und Fortschritt verbin- dende Wege beschritt; »Ehre das überlieferte Alte und schaffe Neues aus ihm!«, 348 lautete seine Devise. Hatten bislang »alle Schulen« – so Erich Kästner, der selbst in Dresden zur Schule gegangen war – »wie Kinderkasernen« ausgesehen, »düster [...], dunkelrot oder schwärzlich grau, steif und unheimlich«, 349 so kam es um 1900 im Zusam- menspiel von Pädagogen und Architekten zu deutlichen Veränderungen imSchulhausbau: Große und helle Klassen- zimmer, großzügige Korridore, gute schulhygienische Be- dingungen durch eine moderne sanitäre Ausstattung, Sportstätten und große Schulhöfe mit Rasenflächen, We- gen, Bäumen und Zierelementen, gegebenenfalls auch ei- nem Schulgarten – das waren die wesentlichen Elemente, die das neue, auf eine angenehme Lernatmosphäre bedach- te Schulhaus von den Schulkasernen alten Stils unterschie- den. Zugleich sollten die neuen Schulgebäude harmonisch in ihre Umgebung eingepasst werden; Fritz Beckert veran- schaulichte diesen Anspruch mit seiner das Dresdner König Georg-Gymnasium darstellenden Künstlersteinzeichnung. 350 Präsentiert wurde dieser neue Ansatz im Gewand des Heimatstils, der sich im Falle Erlweins sowohl an die örtliche barocke Bautradition Dresdens als auch an jene seiner süd- deutschen Heimat anlehnte. Verstärkt wurde dieser die Modernität invisibilisierende Traditionalismus durch ›hei- matliche‹ Zierelemente: Kleinplastiken und plastische Re- liefs, Wandmalereien, die nicht selten Motive aus der Welt der deutschen Märchen und Sagen aufgriffen. Georg Lührig, der auch mit Farblithografien hervortrat, stattete beispiels- weise die 34. Bezirksschule in Dresden-Cotta mit einem – im ZweitenWeltkrieg zerstörten und durch eine Nachbildung ersetzten – »Rübezahl«-Fresko aus 351 und entsprach damit
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