Leseprobe
180 Zunächst aber waren es vor allem die Künstlerbilderbücher, die das für den Prozess der deutschen Nationalstaatsbil- dung so entscheidende Narrativ der Befreiungskriege the- matisierten. Namentlich der für sein künstlerisch wie drucktechnisch anspruchsvolles Programm bekannte Main- zer Scholz Verlag trat hier mit seiner Serie »Vaterländische Bilderbücher« hervor, für die Vertreter des Genres der Künstlersteinzeichnungen gewonnen werden konnten; den Auftakt machte hier Angelo Jank, der wenige Jahre zuvor mit seiner Künstlersteinzeichnung »Eiserne Wehr« eine Ikone des Heimatschutzgedankens geschaffen hatte. 459 In drei mit ganzseitigen Farblithografien ausgestatteten Bänden – »Zehn Jahre deutscher Not (1803–1812)«, »Frühling und Freiheit (1813)«, »Nach Frankreich hinein (1814–1815)« – setzte er die Befreiungskriege ins Bild und stimmte die Er- innerungsgemeinschaft zum Kampf gegen den ›Erbfeind‹ Frankreich ein. Die Begleittexte stammten von Wilhelm Kotzde, der bereits im Kaiserreich durch seine Mitglied- schaft im Deutschbund seine Affinität zur völkischen Bewe- gung zum Ausdruck gebracht hatte, um sich dann nach dem Ersten Weltkrieg als Gründer des Jugendbunds Adler und Falken sowie als einer der führenden Köpfe der Artamanen vollends als einer der wichtigsten Repräsentanten der völ- kischen Jugendbewegung zu profilieren. 460 Kotzde steuerte Dass die Künstlersteinzeichnung eine genuin deutsche Kunst sein und mit der Entwicklung einer »heimischen, in- dividuell deutschen Kunstsprache« 456 der künstlerischen Abhängigkeit von England und Frankreich entgegenwirken sollte – dieses kunstpolitische Programm war dem Genre von Anfang an eingeschrieben. Unverkennbar war auch die nationalkonservative Grundierung des von der Kunster- ziehungsbewegung formulierten Anliegens, dass die deut- schen Künstler im Kreis der ›Kunstvölker‹ konkurrenzfähig sein und die anderen Nationen »aus dem Felde schlagen« sollten. 457 Hinter dieser Wortwahl die Anfälligkeit für eine nationalistische Aufladung der Kunstdebatte zu erkennen, ist für die Künstlersteinzeichnungen keine Fehlannahme. Es lassen sich jedenfalls bereits imVorfeld des ErstenWelt- kriegs Anzeichen für eine überhitzte Patriotik feststellen: 1913 jährte sich zum 100. Male die Völkerschlacht bei Leip- zig, die unter Rekurs auf die napoleonische Ära die sog. deutsch-französische Erbfeindschaft und den Mythos der Befreiungskriege im Erinnerungshaushalt der Nation stabi- lisierte. Der monumentale Beleg dafür ist das 1913, ein Jahr vor Kriegsausbruch, aus Anlass der Jahrhundertfeier der Völkerschlacht von 1813 eingeweihte Leipziger Völker schlachtdenkmal, 458 das unverzüglich Eingang ins Bildpro- gramm der Künstlersteinzeichnungen fand. Das Ende: Patriotik und nationalistische Aufladung im Ersten Weltkrieg links: Einbandillustration von Franz Müller-Münster zu Wilhelm Kotzde, Der Große Kurfürst, Jos. Scholz, Mainz, Vaterländische Bilder bücher, 1912 rechts: Einbandillustration von Angelo Jank zu Wilhelm Kotzde, Frühling und Freiheit (1813), Jos. Scholz, Mainz, Vaterländische Bilder bücher, 1912
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