Leseprobe

182 mut des reformpädagogischen Ansatzes der Jahrhundert- wende gekippt und der Militarismus ins Kinderzimmer getragen wurde, zeigt das Blatt »Feldgraue Jugend« von Gertrud Caspari  464 – ein Kinderzimmerbild, auf dem eine fröhliche Kinderschar mit gezogenem Degen und geschul- terten Gewehren paradiert; am Schluss des Gruppenzugs sieht man ein Kleinkind, das einen Mörser schleppt. 465 In Relation zur Gesamtzahl der vor dem Ersten Welt- krieg veröffentlichten Künstlersteinzeichnungen handelt es sich bei diesen Militaria um eine quantitativ geringe Nach- züglerproduktion. In Verbindung mit der frühen »Eisernen Wehr« Angelo Janks oder dem ganz spät, 1924 als eine der letzten Künstlersteinzeichnungen erschienenen Blatt »Dies alles ist deutsches Land«, das in revanchistischer Attitüde die mit demVersailler Vertrag ausgesprochenen deutschen Gebietsverluste thematisierte, trugen diese wenigen Blätter freilich dazu bei, dass die Deutsche Künstlersteinzeichnung ex post stärker als ein militaristisch konnotiertes patrioti- sches Bildprogramm wahrgenommen wurde, als das tat- sächlich der Fall war. Zur Entlastung des Genres ist freilich anzumerken, dass es auf dem Gebiet der ambitionierten Druckgrafikmit- nichten nur Künstlersteinzeichnungen waren, die im Ersten Weltkrieg zum Hurra-Patriotismus tendierten. Vielmehr ver- Bei den als Einzelblattdrucke erschienenen Künstlerstein- zeichnungen lässt sich diese fatale Orientierung an der vormodernen Kriegsführung auch an Georg Lebrechts Sze- nen aus den Befreiungskriegen aufzeigen, 462 vor allem aber an Robert von Haugs bereits 1902 gezeichneter, ganz offen- kundig auf die Befreiungskriege rekurrierender Farblitho­ grafie »Morgenrot«, die sowohl imGroßformat 100 × 70 cm als auch in einer verkleinerten, von Anton Glück nachlithogra- fierten Ausgabe im Format 55 × 38 cm erschien und zu den am weitesten verbreiteten Blättern des Genres zählte: Sie zeigt drei Kavalleristen in der Morgendämmerung, deren offenkundig übermüdeter Zustand zwar zu einer nachgerade unheroischen Körperhaltung führt – doch der Bildtitel kündet vom Anbruch einer neuen Zeit, die allen Einsatzes wert ist. Die sich bereits im Völkerschlachtgedenken ankündi- gende Öffnung der Künstlersteinzeichnungen für eine mili- täraffine Patriotik verstärkte sich dann unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Der Berliner Franz Schneider Verlag veröffentlichte noch im ersten Kriegsjahr eine u. a. die Blätter »Weihnachten im Feindesland«, »Vorposten an der Maas« und »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« umfassende Serie »Aus eiserner Zeit«, und von den großen Verlagen nahm vor allem R. Voigtländer Darstellungen zur Weltkriegsthematik in sein Programm auf.  463 Wie schnell dabei auch der Edel- Carl Alexander Brendel, Stilles Heldentum (H 30 cm, B 41 cm), Franz Schneider, Berlin-Schöneberg, Aus eiserner Zeit, Nr. 2, 1914

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