Leseprobe
185 Das Ende: Patriotik und nationalistische Aufladung im Ersten Weltkrieg links: Eugen Osswald, Mobilmachung rechts: Eugen Osswald, Krankenschwester beide: (H 37 cm, B 27 cm), aus: 20 farbige Stein- zeichnungen aus dem Feld zu Gunsten der Wittwen- und Waisen- kasse des Bayerischen Landwehr Infanterie Regiments Nr. 1, Selbst verlag, München, 1918 Feld zu Gunsten der Wittwen- und Waisenkasse des Baye- rischen Landwehr Infanterie Regiments Nr. 1« von Eugen Osswald das wohl bezeichnendste Beispiel ist. Aus den nicht wenigen Mappenwerken, die unter dem Eindruck des Krieges für Wohltätigkeitszwecke verlegt wurden, 471 sticht sie künstlerisch zweifelsohne hervor. Zwar wurden etwa mit der Darstellung eines toten Schäferhundes des Roten Kreu- zes oder von Soldaten, die mit ausgehöhlten Augen im Unterstand Wache halten, auch die Schrecken des Krieges thematisiert. Wenn aber der am Bett eines Kriegsverwunde- ten wachenden Krankenschwester eine offenkundig Théo- phile Steinlens Werbeplakat für das Pariser Kabarett »Le Chat noir« nachempfundene Katze zugesellt wurde oder wenn Blätter wie »Mobilmachung« oder »Ausmarsch« einen fröhlichen Hurra-Patriotismus vermitteln, so erweckt das beim heutigen Betrachter, dessen Bildgedächtnis durch die kritische Grafik von Ludwig Meidner oder Otto Dix und durch die Anti-Kriegsbilder des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit geprägt ist, den Eindruck, dass der Versuch, den Krieg mit den Mitteln des Münchener »Jugend«-Stils zu bewältigen, in eine künstlerische Sackgasse führte. Dass die Künstlersteinzeichnungen teilweise schon vor dem Ersten Weltkrieg ästhetisch überholt wurden und dass die kunst- und lebensreformerischen Impulse der Zeit um 1900 im Krieg einer desillusionierten Weltsicht wichen, wurde bereits mehrfach als Grund dafür angeführt, dass viele für das Genre wichtige Künstler und Künstlerinnen der Vergessenheit anheimfielen. Dass dieses Vergessen im Fall der ›verlorenen Moderne‹ um 1900 besonders nachhaltig war, hing aber ganz wesentlich auch mit der Kunstpolitik der Jahre zwischen 1933 und 1945 in Deutschland zusam- men: Einerseits wurde die klassische Moderne, die sich schon vor dem ErstenWeltkrieg mit der Brücke, dem Blauen Reiter oder der Kölner Sonderbundausstellung des Jahres 1912 472 Bahn gebrochen hatte, nach 1933 als ›entartet‹ aus- gegrenzt oder vernichtet. 473 Andererseits waren gleichzeitig die Künstlersteinzeichnungen, generell die zur Agrarroman- tik tendierende Heimatkunst um 1900 mit der national sozialistischen Kunstpolitik kompatibel. Sowohl der pro- grammatische Anspruch, eine genuin deutsche Kunst sein zu wollen, als auch die insbesondere auf die deutsche Romantik rekurrierende Bildästhetik ließen sich problem- los mit der völkischen Heimatkunst der NS-Zeit harmonisie- ren; 474 in manchen Fällen, wie Adolf Hosses Farblithografie »Ernte« 475 war dies so sehr der Fall, dass – wenn man nicht um das Entstehungsdatum 1905 weiß – das Blatt auch als NS-Kunst wahrgenommen werden könnte. Diese Kompati- bilität hatte zur Folge, dass nicht wenige ›Künstlerstein- zeichner‹, die sich um 1900 in ihrer künstlerischen Auf- bruchphase befunden hatten, in den 1920er Jahren dann aber den Anschluss an moderne Kunstströmungen ver- passten und eher an den Rand gedrängt wurden, nach 1933 noch einmal reüssierten und zwischen 1937 und 1944 mehr oder minder regelmäßig in den Großen Deutschen Kunst ausstellungen im Münchener Haus der Deutschen Kunst vertreten waren. 476 Walter Strich-Chapell, der mit der Künst-
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