Leseprobe
15 den verlags- und gattungsgeschichtlichen Abschnitten die- ses Buches noch im Einzelnen eingegangen. Worauf es hier zunächst ankommt, ist die Klärung des Begriffs. Denn dass man nicht einfach von Farblithografien bzw. farbigen Litho- grafien sprach, wie das Woldemar von Seidlitz in seinem Referat auf dem Dresdner Kunsterziehungstag getan hatte, sondern den Begriff der Künstlersteinzeichnung wählte und zu einem Markenzeichen entwickelte, das hatte natürlich Gründe – künstlerische, marktstrategische und auch kunst ideologische. Dass man von Steinzeichnungen oder Steindrucken, allgemeiner von »Steinkunst« 10 sprach, beinhaltete zu- nächst einmal die Suggestion einer schlichten Handwerk- lichkeit, die den technischen Herstellungsprozess und die mit dem lithografischen Druckverfahren verbundenen che- mischen Prozesse ein Stück weit invisibilisierte. Dass man die Begriffe Farb- oder gar Chromolithografie vermied, war eine deutliche Abgrenzung von den industriellen Druckver- fahren einer Wandschmuckindustrie, die das chromolitho- grafische Herstellungsverfahren für die Massenproduktion von Drucken mit Schutzengelmotiven, Elfenreigen, Alpen- und Heidelandschaften, Jagdszenen mit röhrenden Hir- schen sowie religiösem und ›vaterländischem‹ Kitsch nutz- te. In der Variante des sog. Öldrucks wurde dabei dem Pa- pier eine Leinwandstruktur eingeprägt und der Druck mit einem Firnis überzogen, um der künstlerisch anspruchslo- sen Farblithografie die Aura eines Ölgemäldes zu geben. 11 Von diesen als ästhetisch minderwertig empfundenen Mas- senprodukten wollte sich die gleichermaßen künstlerisch wie kunstpädagogisch ambitionierte Steinzeichnung ab- setzen; wenn eine 1987 gezeigte Ausstellung von Farblitho- grafien des Karlsruher Künstlerbundes den Untertitel »Eine Initiative gegen den Öldruck« 12 trug, so wurde damit dieser Ansatz völlig zutreffend auf den Punkt gebracht. Die Stein- druckbewegung grenzte sich freilich nicht nur von der chro- molithografischen Massenfabrikation ab, sondern zugleich auch von der Reproduktion der kanonisierten und musea- lisierten Hochkultur. Denn so wichtig es der Kunsterzie- hungsbewegung auch war, bildungsfernen Schichten oder der ländlichen Bevölkerung, der der Besuch der großen, in den Städten befindlichen Kunstsammlungen kaum oder nur schwer möglich war, die Höhepunkte der europäischen und deutschen Malerei wenigstens in reproduzierter Form nahezubringen, so war der Anspruch der Steinkunst ein anderer: Sie wollte nicht Reproduktionsdrucke liefern, die – sofern nicht ohnehin als Schwarzweißdruck ausgeliefert – stets eine Abweichung von Farbgebung und Format des Originals bedeuteten, sondern sie wollte Originalkunst an- bieten. Darauf bezieht sich der Begriff der Künstlerstein- zeichnung, alternativ jener der Originalsteinzeichnung oder auch der Ursteinzeichnung. Hinter dem Programm der Künstlersteinzeichnungen für Haus und Schule stand mit- hin kein geringerer Anspruch als der, mittels einer hohe Auflagen – und damit auch Verkaufszahlen – ermöglichen- den Drucktechnik breite Bevölkerungsschichten, insbeson- dere die Jugend, mit Originalkunst vertraut zu machen. »Steinkunst« versus »Scheinkunst« – so lautete denn auch der frühe Werbeslogan des Leipziger Verlages R. Voigtlän- der, der damit verdeutlichen wollte, »daß Kunstsinn und Kunstbesitz keine Kostenfrage mehr, sondern durch die Steinkunst zur Geschmacksfrage geworden sind, und daß Scheinkunst ein Zeichen der Unbildung ist.« 13 Kataloge für Künstler- steinzeichnungen des Leipziger Verlags B. G. Teubner, 1901 und ca. 1918
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