Leseprobe
16 Der Nachweis, dass es sich bei den Künstlersteinzeichnun- gen um ›echte‹ Kunst handelte, war die Legitimations- und Marketingstrategie, mit der die einschlägigen Verlage und die beteiligten Künstler ihr Engagement dafür begründeten, breiten Bevölkerungsschichten den kostengünstigen Zu- gang zu Originalgrafik zu ermöglichen. Der Verlagshinweis, »R. Voigtländers Farbige Künstler-Steinzeichnungen sind Werke lebender Künstler; Nachbildungen von Werken älte- rer Meister sind ausgeschlossen« 14 brachte diesen auf das Prinzip der Authentizität und Originalität pochenden An- satz noch einmal auf den Punkt, wobei es kaum ein Verlag versäumte, die Herstellungstechnik im Detail zu erläutern. »Der Künstler selbst führt«, um noch einmal aus der Voigt- länder’schen Broschüre zu zitieren, »nach einem Entwurfe, der für ihn jedoch nur gleichsam das Konzept bedeutet und der von Anfang an für die geplante Größe, wie für die be- sondere Technik gedacht ist, selbst auf demStein die Zeich- nung wie die Farbenplatten aus. Er überwacht ferner die Farbenmischung und den Druck. So hat er allein, sonst niemand, Gewalt über sein Werk, bis er unter den letzten Probedruck seine Druckerlaubnis setzt. Der Drucker hat dann nur noch dafür zu sorgen, daß jede einzelne Druckfar- be nach Vorlage gemischt und gedruckt wird; das Ergebnis muß genau das vom Künstler gewollte sein [...] Die Frage, ob das Nachbild dem Vorbilde gleichwertig ist oder nicht, fällt ganz weg; es gibt in der Künstler-Steinzeichnung kein Vorbild, sondern nur ein Urbild, und das ist der in Hunder- ten oder Tausenden von gleichen Abzügen gefertigte Druck. Das Mittel, den Künstler selbst sprechen zu lassen, ist durch das Verfahren der eigenhändigen Steinzeichnung vollkommen gefunden.« 15 In Fortführung dieser auf die Möglichkeit hoher Auflagen und auf den Originalbegriff gleichermaßen rekurrierenden Argumentationslinie war die Künstlersteinzeichnung für den Verlag von B. G. Teubner, den zweiten großen und gleichfalls in Leipzig ansässigen Distributeur, berufen, »für das 20. Jahrhundert die gewal- tige Aufgabe zu erfüllen, die der Holzschnitt im 15. und 16. Jahrhundert und der Kupferstich im 18. Jahrhundert er- füllt haben. Sie ist das einzige Vervielfältigungsverfahren, dessen Erzeugnisse tatsächlich Originalgemälden vollwer- tig entsprechen.« 16 Diese Orientierung am originalen Ölgemälde 17 impli- zierte indirekt, dass es sich bei den Künstlersteinzeichnungen um eine »farbenfrohe Kunst« 18 und nicht umSchwarzweiß- grafik handelte: »Vor den Griffelkünsten hat die Künstler- Steinzeichnung vor allem den Vorzug der Farbe.« 19 Das machte die Modernität der Künstlersteinzeichnung aus, distanzierte sie sich damit doch von der »strenge[n] Mode des Farblosen« im bildungsbürgerlichen Haushalt, für den Farbigkeit ein Indikator für Trivialität und sozial niedrig stehende Käuferschichten war; »Farbe blieb für anspruchs- volle Drucke verpönt«. 20 Zwischen der knallbunten trivia- len Massenproduktion der Öldrucke und der elitären schwarzweißen Original- und Reproduktionsgrafik vermit- telnd, bekannten sich die Künstlersteinzeichnungen zu einer kräftigen und doch auch dezenten Farbenwirkung, die »in gebrochenen Farbtönen den feinsten Stimmungen ge- recht wird« 21 – so, wie man das eben von den Ölgemälden vorzugsweise des Impressionismus kannte, ehe sich mit dem Expressionismus und der klassischen Moderne eine eher grelle und provozierende Farbigkeit durchsetzen soll- te. Mit den Künstlersteinzeichnungen sollte – und nicht zuletzt darin lag ihr reformerischer Impuls – Farbe in das Heim »unseres gebildeten Mittelstandes« der »Beamten, Gelehrten, Offiziere, Kaufleute usw.«, 22 in die Schulen und andere öffentliche Gebäude wie Ämter, Krankenhäuser, aber auch in die Gaststuben der gehobenen Gastronomie gebracht werden. Kataloge für Künstler- steinzeichnungen des Leipziger Verlags R. Voigtländer, 1901 und 1912
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