Leseprobe

61 Denkwürdig. Der Fernsehturm Es gehört zu den Träumen der Menschheit, hoch zu bauen. Seit Jahrhunderten werden in fast allen Kulturkreisen Türme der verschiedensten Art gebaut: zu Ehren der Gottheit, als Symbol der Kultstätte oder als Ausdruck geistig-ideellen Aufstrebens. 1 Der Fernsehturm, ein sich seit Mitte der 1950er Jahren herausbildender Typus, hatte zunächst reinen Zweck­ überlegungen zu folgen, denn die Funkübertragung erforderte große Turmhöhen. Technisch war das Fernsehen zwar vor dem Zweiten Weltkrieg konzipiert und auch erprobt worden, doch setzte es sich erst ab Mitte der fünfziger Jahre durch und löste das Radio als wichtigs- tes Massenkommunikationsmittel ab. Hierfür galt es, eine entsprechende Dichte an Sende­ anlagen zu gewährleisten. Doch schon der erste seiner Art, der 1956 eröffnete Stuttgarter Fernsehturm, stand unter dem Anspruch, gleichzeitig ein stadtbildprägendes Wahrzeichen und erlebniswirksames Bauwerk zu sein. Es war der eigentlich auf Brückenbauten spezia- lisierte Ingenieur Fritz Leonhard (1909–1999), der die Idee hatte, einen Turm nicht allein für das Senden von Signalen für Hörfunk und Fernsehen zu bauen, sondern auch mit einer Aussichtsplattform und einem Café auszustatten. Ein Konzept, das sich als äußerst wirt- schaftlich erwies, denn innerhalb von fünf Jahren hatten sich die Baukosten durch die Eintrittsgelder amortisiert. Das in Stahlbeton errichtete Stuttgarter Modell wurde zum Pro- totyp für zahlreich errichtete Fernsehtürme weltweit, nicht zuletzt zu dem Zweck, die eigene Fortschrittlichkeit in einem derart markanten Bau zu demonstrieren. Für die Besucher jedoch war vor allem entscheidend, dass sie über Schnellaufzüge in einen hoch über der Stadt gelegenen Turmkopf gelangten, von dem sie einen bisher unbekannten Blick über ihre Stadt und Umgebung haben und sich zudem in einem Restaurant in schwindelerre- gender Höhe kulinarisch verwöhnen lassen konnten. 2 Der Traum von einer markanten, zumal technisch legitimierten Turmdominante fiel auch in der DDR auf fruchtbaren Boden. 1956 startete der Deutsche Fernsehfunk in der DDR seine Fernsehübertragung mit terrestrischer Ausstrahlung, was sich durch die topografi- sche Talkessellage Dresdens und seiner Umgebung als problematisch erwies. Ein Funkturm wurde notwendig, der rein unter funktonalen Aspekten für das Senden von Signalen für Hörfunk und Fernsehen auch als einfacher Sendemast hätte ausgeführt werden können. Eingebettet in die Landschaft – der Dresdner Fernsehturm, Fotografie 2019

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