Leseprobe
63 Inspiriert von dem Stuttgarter Modell begeisterten sich Architekten und Ingenieure für die damit verbundene imposante Planungsaufgabe, die Ideologen erkannten sofort die mit dem technischen Bauwerk verbundene bildhafte Wirkung. Während des Kalten Krieges wurde die deutsch-deutsche Fernsehturmgeschichte damit auch zur politischen Grenzüber- schreitung. Mit dem 1969 eröffneten Berliner Fernsehturm trug hierbei die DDR einen »Sieg« davon, nicht nur weil sie auf deutschem Boden den höchsten Fernsehturm errichtet hatte, sondern ein auch in den Westteil wirkendes architektonischen Zeichen setzen konnte. Propagandistisch am Alexanderplatz positioniert, versinnbildlichte der von dem Architekten Hermann Henselmann (1905–1995) entworfene Turm Fortschritt und technische Kompe- tenz des Sozialismus. Damals kreiste der erste Sputnik im All – Henselmann bezog sich mit seinem nach dem Kosmos greifenden Turm darauf. Die Wirkungsgeschichte des Ber- liner Fernsehturms nach der deutschen Wiedervereinigung zeigt aber auch, dass sich Gesellschaften verändern, ihre Türme aber bleiben – und dann plötzlich ganz neue Bedeu- tungen zugeschrieben bekommen. So verzeichnet der Berliner Fernsehturm als Touriste- nattraktion Besucherrekorde. Die ursprüngliche Ausstattung des Turmcafés ist nicht erhalten geblieben. Fotografie links um 1970 und rechts 2019
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