Leseprobe

4 »Ich wurde ob der Masse des Herrlichen so konfus« Die Dresdner Gemäldegalerie Stephan Koja »Die königliche Galerie der Schildereien in Dresden enthält ohne Zweifel einen Schatz von Werken der größten Meister, der vielleicht alle Galerien in der Welt übertrifft«, schrieb Johann Joachim Winckelmann 1755. 1 Schon 1749 hatte er be­ eindruckt seinem Freund Konrad Friedrich Uden mitgeteilt: »Die Königl. Bilder Gallerie ist […] die schönste in der Welt.« 2 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Dresdner Gemäldegalerie bereits ein Anziehungspunkt für Künstler, Intellektuelle und kulturaffine Reisende aus ganz Europa. Ihre Berühmtheit sollte sich bald zum Mythos entwickeln. Dabei waren es im Wesentlichen nur rund fünfzig Jahre intensiven Sammelns zu Beginn des 18. Jahrhunderts gewesen, die der Sammlung ihre atemberaubende Qualität verliehen hatten. Die Anfänge der Gemäldegalerie Alte Meister, wie wir sie heute kennen und bewundern, liegen in der Kunstkammer des Kurfürsten August von Sachsen, der ab dem Jahr 1560 Bemerkenswertes und Kuriositäten aus den Gebieten der Natur, der Kunst, des feinen Handwerks und des technischen Instrumentenbaus gesammelt hatte. »Er war aufs Praktische bedacht, umsichtig, tatkräftig bis zur Brutalität und sorgfältig bemüht, seine Machtstellung auszubauen und weiter zu festigen. Musische Züge treten in seinem Charakterbild kaum hervor. […] So war seine Kunstkammer in erster Linie als eine Einrichtung gedacht, die in Reichtum und Vielfalt auf impo­ sante Weise Glanz und Macht repräsentieren sollte.« 3 Dies war ein Gedanke, der auch die nachfolgenden Fürsten antrieb: über den Glanz kostbarer Sammlungen den Ruhm des eigenen Hauses zu mehren und im Konzert europäischer Fürsten den eigenen Machtanspruch zu untermauern. Die bedeutendsten Gemälde dieser frühen Kunstkammer stammen von Hans Bol, Lucas Cranach dem Älteren und dem Jün­ geren oder von Albrecht Dürer. Auch wenn unter den Kurfürsten des 17. Jahrhun­ derts manch bedeutendes Bild erworben wurde, war es erst Friedrich August I., seit 1694 Kurfürst von Sachsen und ab 1697 als August II. König von Polen, der in nie dagewesenem Umfang die Sammeltätigkeit intensivierte. Dieser König, der aufgrund seiner körperlichen Kraft den Beinamen »der Starke« erhielt, kaufte in großem Stil römische Antiken, ostasiatisches Porzellan, Meisterwerke der Schatzkunst – und kostbare Gemälde, die er in Italien und in den Niederlanden beschaffen ließ. Das von Giorgione unter Mitwirkung Tizians ausgeführte Gemälde Schlummernde Venus beispielsweise wurde 1699 als eines von 15Werken durch den Amsterdamer Kunsthändler Charles Le Roy an die kurfürstliche Kunstkammer geliefert.

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