Leseprobe

85 Mehr als zwei Wochen hatten Hunderte Journalisten in der zweiten Julihälfte 1945 vor den Toren der »Verbotenen Stadt der Großen Drei« 1 ausgeharrt, bis sie am 3. August das Ergebnis der Potsdamer Konferenz in die Welt hinausschreiben konnten. Lediglich die von US-Präsident Harry S. Truman und dem britischen Premierminister Winston Churchill formulierte sowie von Chiang Kai-shek, dem Präsidenten der Nationalregierung der Republik China, telegrafisch mitunterzeichnete Potsdamer Erklärung, die die Bedingungen für die Kapitulation Japans festlegte, war acht Tage zuvor verbreitet worden. 2 Ansonsten hatte die mit Konferenzbeginn verhängte Nachrichtensperre gehalten. Umso aufsehenerregender war das Urteil, das Lord Beaver- brooks Daily Express am 3. August verkündete: »What a tremendous, forward-looking programme has been hammered out in the Cecilien- hof near Potsdam in the last fortnight and two days! Make no mistake, the Big Three Powers have done a good job of work. There has been give and take – wisely. Europe has made the first step forward to lasting peace. And it is the first step that counts. Germans get a chance to become civilised again – when they have paid the price of their barbarity. This great historical triumph of collaboration is important for its positive achievements, under conditions of maximum difficulty.« 3 Das mit mehr als drei Millionen verkauften Exemplaren auflagenstärkste Massenblatt des Vereinigten König- reichs stand mit seinem Verdikt keineswegs allein da. Auch die tradi- tionelle Qualitäts- und politische Richtungspresse begrüßte das »Friedenswerk« von Potsdam und feierte den vermeintlichen Schulter- schluss der drei Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs. 4 Von den ebenso skeptischen wie vor den Konsequenzen einer Teilung Deutschlands und Europas warnenden Einschätzungen im Vorfeld der Konferenz 5 war kaum etwas übrig geblieben. Premier­ minister Clement Attlee, der als britischer Chefunterhändler der letzten fünf Konferenztage das Verhandlungsergebnis zu verantwor- ten hatte, zeigte sich gegenüber seinem Kabinett, seinem Amts­ vorgänger und gegenüber den Regierungschefs des Commonwealth zufrieden. 6 Und Staatssekretär Sir Alexander Cadogan, der, wie so oft in den zurückliegenden Jahren, auch in Potsdam über den Regierungswechsel hinaus die Fäden der britischen Delegation in der Hand gehalten hatte, schrieb an seine Frau Theodosia: »We have not done too badly, I think.« 7 Lediglich Churchill selbst, mittlerweile Kriegsheld a. D., schlüpfte unverzüglich in seine Paraderolle der 1930er Jahre. Als Kassandra warnte er Mitte August 1945 im Unterhaus vor einer »Tragödie ungeheuren Ausmaßes [...] hinter dem Eisernen Vorhang«, 8 strickte an der mit Beharrlichkeit vertretenen Legende, dass er es – wäre er bei Konferenzende noch im Amt gewesen – auf eine Kraft- probe hätte ankommen lassen, und distanzierte sich insoweit konse- quent bei allen, die es hören wollten, von dem Schlusskommuniqué der »Großen Drei«: »I am not responsible for Potsdam after I left.« 9 Victor Mauer ← Ankunft Churchills am Flughafen Gatow

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