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87 Tatsächlich waren die zentralen Entscheidungen, auch wenn sie in manchen Fällen nur temporärer Natur waren, erst Ende Juli getroffen worden, als Churchill nach der verheerendsten Niederlage der Kon- servativen seit 1906 die Downing Street verlassen hatte und seinem langjährigen Stellvertreter die Gestaltung der Zukunft des Vereinigten Königreichs überlassen musste. Nach den Konferenzen von Teheran (28. November bis 1. Dezem ber 1943) und Jalta (4. bis 11. Februar 1945) war die Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) das letzte Treffen der »Großen Drei«. »Terminal«, also Endstation, lautete daher auf Vorschlag Churchills durchaus folgerichtig das Codewort für die Tagung am Jungfernsee im Neuen Garten. »Terminal« war aber auch deshalb ein passender Begriff, weil die beteiligten Akteure, dem von Henry Adams einst mit Bezug auf die Diplomatie im Zeitalter des Hoch imperialismus so bezeichneten »Herumtappen in den Korridoren des Chaos« 10 vergleichbar, nach Anhaltspunkten für eine neue Welt- ordnung suchten. Die Gleichzeitigkeit der Gegensätze: Großbritannien 1945 Die internationalen Rahmenbedingungen waren in Bewegung geraten. Das informelle Zweckbündnis auf Zeit hatte das im Januar 1943 von den Westalliierten in Casablanca festgelegte Ziel der »bedin- gungslosen Kapitulation« des Deutschen Reiches mit dem Vollzug der militärischen Gesamtkapitulation in den amerikanischen und sowjetischen Hauptquartieren in Reims und Berlin-Karlshorst am 7. und 9. Mai 1945 erreicht. Die staatlich-politische Kapitulation, auf die sich die Europäische Beratende Kommission im Juli 1944 ver- ständigt hatte, folgte am 5. Juni 1945 durch einseitigen Rechtsakt. 11 Deutschland wurde als besiegter Feindstaat besetzt. Die Haupt siegermächte übernahmen die oberste Regierungsgewalt. Über die Erfolgsaussichten der neuen Herausforderung, den europäischen Frieden gemeinsam zu gestalten, sagten die Errungen- schaften der Vergangenheit allerdings wenig aus. Denn einen dauer- haften Konsens der Koalitionspartner von gestern über die Aus gestaltung des Friedens von morgen und die künftige Gestalt des besetzten Landes gab es nicht. Mehr noch, sogar in den Schaltzen tralen der Macht war man sich weit mehr darüber im Klaren, was man verhindern wollte, als über das, was aus dem Besiegten eigentlich werden sollte. Und so begriffen sie in Ermangelung eines klassischen Waffenstillstandsvertrages die Kombination aus bedingungsloser Kapitulation und alliierter Regierungsübernahme als eine Art Präliminarfrieden, 12 der es ihnen ermöglichen würde, sich im Laufe der Zeit Klarheit über die Verfahrensoptionen einer endgültigen Friedensregelung zu verschaffen. Winston Churchill, Harry S. Truman und Josef Stalin auf der Potsdamer Konferenz Clement Attlee, Harry S. Truman und Josef Stalin auf der Potsdamer Konferenz
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