Leseprobe
175 China war auf der Potsdamer Konferenz nicht vertreten. Es war auch, mit Ausnahme der Potsdamer Erklärung, nicht Gegenstand des offiziellen Konferenzprogramms. Dennoch waren die Ergebnisse der Konferenz wichtig genug, um sie einem interessierten chinesischen Publikum als kleine Broschüre in der offiziellen Landessprache zugänglich zu machen, die zum Preis von 200 Yuan bzw. 40 US-Cent vertrieben wurde. 1 Dies hängt zweifellos weniger mit den im Schloss Cecilienhof unmittelbar erzielten Ergebnissen zusammen, sondern spiegelt einerseits ein globales Interesse der chinesischen Eliten wider und reflektiert andererseits den Wandel des internationalen Status der Republik China, den der Zweite Weltkrieg herbeigeführt hatte. Das noch immer unter imperialistischer Kontrolle stehende China gewann im Laufe des Krieges seine formale Souveränität zurück, allerdings vorläufig noch mit Einschränkungen. Darüber hinaus gestanden die »Großen Drei« dem Land den Status einer Sieger- macht zu, behandelten es jedoch zugleich als bloßen Juniorpartner. In Potsdam wurden keine entscheidenden Weichen mehr gestellt, sondern im Wesentlichen zuvor gefasste Beschlüsse bestätigt. Die Ausgangslage Als im Schloss Cecilienhof die Potsdamer Konferenz begann, führte China bereits seit 15 Jahren Krieg gegen Japan. Die japanische Inva- sion in der Mandschurei im September 1931 hatte zunächst nur eine schon lange bestehende politische und militärische Krisensituation verschärft, denn seit dem Sturz der Monarchie 1911 hatte in China fast ununterbrochen Krieg geherrscht, wenn auch nicht in allen Teilen des Landes gleichermaßen. War die republikanische Revolu- tion selbst ein kurzer Bürgerkrieg zwischen radikalen und konser vativen Eliten gewesen, so zerfiel die junge Republik ab 1916 in ein ander befehdende Warlord-Herrschaften, die erst Mitte der 1930er Jahre durch das 1928 gebildete nationalistische Regime unter Chiang Kai-shek eingedämmt werden konnten. Andererseits löste dieser neue Führer im Frühjahr 1927 den Bürgerkrieg gegen den ehemaligen Bündnispartner der Nationalpartei (Guomindang, GMD), die Kommu- nistische Partei Chinas, aus. Trotz massiver antijapanischer Proteste im ganzen Land gab Chiang zunächst der Bekämpfung der kommu- nistischen Stützpunkte Vorrang, bis ihn Mitte der 1930er Jahre eine Kombination aus innen- und außenpolitischen Faktoren umschwen- ken ließ und eine bis 1941 bestehende zweite, wenn auch lose natio- nalistisch-kommunistische Einheitsfront gegen Japan gebildet werden konnte. 2 Zur inneren Fragmentierung Chinas gesellte sich seine äußere Schwäche. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten imperialistische Staaten dem Land wichtige Bereiche seiner staatlichen Souveränität entzogen, insbesondere unter dem Stichwort der Exterritorialität die Gerichtsbarkeit über westliche Ausländer sowie die Hoheit über Zoll- Thoralf Klein ← Chinesischer Soldat vor einer Reihe P-40-Jäger der »Flying Tigers«
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