Leseprobe
178 noch verstärkt. Die chinesische Regierung sah sich daher nicht mehr in der Lage, selbst einer noch so kleinen japanischen Provokation nachzugeben. Daher ließ sich auch ein zwischenzeitlicher Waffen- stillstand nicht aufrechterhalten, zumal die japanische Regierung im gleichen Atemzug Verstärkungen nach China entsandte. 6 Die japanischen Invasoren rückten zunächst auf breiter Front vor und besetzten die wichtigsten Städte Nord- und Zentralchinas, darunter das Finanzzentrum Shanghai und die Hauptstadt Nanjing. Guangzhou, die bedeutendste Metropole Südchinas, fiel im Oktober 1938. Als der japanische Angriffsschwung erlahmte, bildete sich im Land eine Zweiteilung heraus: Die Küstenregionen wurde von den Japanern kontrolliert, während die schwerer zugängliche Westhälfte, das »Freie China« mit der Hauptstadt Chongqing, unter der Herr- schaft Chiang Kai-sheks und der Nationalpartei stand. In diese Zone wurden in einem erstaunlichen, wenn auch ungeplanten und etappen- weisen Exodus Industriebetriebe, aber auch Bildungseinrichtungen verlegt, und nie gesehene Massen von Flüchtlingen machten sich auf den Weg dorthin. Die Zahlen schwanken zwischen drei und 95 Millio- nen. 7 Die kommunistischen Basisgebiete im Nordwesten und Norden unterstanden Chiangs Kontrolle zwar nicht direkt, aber ihre Truppen wurden formal in die nationalistischen Streitkräfte eingegliedert. Der Kriegsalltag war geprägt von den leidvollen Erfahrungen der chinesischen Zivilbevölkerung. Da war zum einen das brutale Vorgehen der japanischen Truppen – die Massaker, allen voran die an Grausamkeit kaum zu überbietenden Massentötungen und -verge- waltigungen bei der Einnahme Nanjings vom 13. Dezember 1937 bis Februar 1938; der Bombenterror, der zwischen 1940 und 1942 den Abwurf biologischer Waffen (mit Pesterregern infizierte Flöhe) und Ende 1941 kurzzeitig sogar den auf Protest der USA rasch unterbun- denen Einsatz von Giftgas einschloss; die Menschenversuche der berüchtigten Einheit 731 in der Nordmandschurei; die Zwangsprosti- tution, Misshandlung von Kriegsgefangenen und so weiter. Doch auch Handlungen der nationalistischen Armee hatten verheerende Auswir- kungen: Als Chiang Kai-shek bei der Verteidigung von Kaifeng im Sommer 1938 die Deiche des Gelben Flusses durchstechen ließ, war eine Flutkatastrophe mit einer halben Million Toten und drei bis fünf Millionen Obdachlosen die Folge. Eine Kombination aus Dürre und Misswirtschaft der Nationalregierung führte 1942 und 1943 zu einer Hungersnot in der Provinz Henan, der weitere drei Millionen Men- schen zum Opfer fielen. Städte wurden häufig vor den heranrücken- den Japanern in Brand gesteckt; nicht immer evakuierten die Behör- den zuvor rechtzeitig die Bevölkerung. 8 Karte des ostasiatischen Kriegsschauplatzes, Ausschnitt aus ABCA-Map No. 72
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