Leseprobe
54 Italienische Zeichnungen Wahl von roter Kreide als Zeichenmedium. Johann David Passavant hat das Blatt hoch bewertet, da er es zwischen 1854 und 1857 als eine von nur zwölf Zeichnungen aus dem Städelschen Kunstinstitut für eine fotogra fische Reproduktion auswählte. 5 Bei Johann Friedrich Städel gehörte das Blatt zu einer kleinen Gruppe von italieni- schen Zeichnungen des 15. Jahrhunderts. Unter den Namen von Masaccio (Abb. 3), Filippino Lippi, Pollaiuolo, Ghirlandaio und Leonardo da Vinci waren bei ihm Florentiner Künstler in größerer Zahl vertreten. Mit Arbeiten unter Bellini, Bramante und Man- tegna (Abb. 99) – von Letzterem ein später als Kopie erkanntes Blatt, das Goethe nach einem Besuch der Sammlung besonders hervorgehoben hat – waren aber auch die norditalienischen Zentren Venedig, Mailand und Mantua präsent. 6 Wenngleich sich die Zuschreibungen nicht bestätigt haben, wird der enzyklopädische Ansatz Städels mit diesen Beispielen besonders greifbar, in Parallele zu Studien niederländischer und deutscher Meister aus der Umbruchzeit um 1500 (Kat. 41–42, 65; Abb. 75). Abb. 35 Unbekannter niederländischer Zeichner, 2. Hälfte 16. Jahrhundert, Die St. Peterskirche in Rom im Bau , 1580/ 1582(?), Feder in Braun, 228×190 mm (Inv. 814) 1 Meister der »Sacra Conversazione Settmani« In Städels Sammlung: Lazarino (Donato) Bramante Kopf und Oberkörper eines alten Mannes, um 1500(?) Rote Kreide, weiße Kreide, über Griffel, die Konturen durchstochen, auf hellgraubraun getöntem Papier, 401× 242 mm (maximale Abmessungen); ganzflächig aufgelegt Wasserzeichen nicht vorhanden, Stegabstände (vertikal) |40|40|40|40|–| (Wasserzeichen des Auflagekartons: Baselstab?, zwischen Bindedrähten, unbestimmtes Monogramm? als Gegenmarke) Unten rechts am Rand beschriftet mit der Feder in Braun »G« (Sammlermarke?) Auf dem Verso rechts am Rand beschriftet mit der Feder in Braun (im Durchlicht lesbar) »adi ∙ 29 ∙ di m[ar]zo ∙ | graso [?] de queste[] | ∙ 10 ∙ circha ∙ 13 ∙« Auf der Rückseite (auf dem Auflagekarton) unten in der Mitte mit Bleistift beschriftet »1« (in einem Kreis), unten links Stempel des Städelschen Kunstinstituts (L. 2356) mit der dazugehörigen Inventarnummer 455 (Bleistift) PROVENIENZ Vermutlich Pierre Wouters (um 1702–1792), Lierre; Katalog (1797) und Versteigerung Wouters: Demarneffe, Brüssel, 16. November 1801 (Lugt 5685 & 6327), S. 207, Nr. 19, »Bramante Lazzari da Urbino, La fig. d’un vieillard à mi-corps, sans barbe et sans cheveux, ayant une calotte sur la tête, et les oreilles découvertes, il s’appuye de 2 mains sur une bequille, rare dessein à la sanguine, rehaussé de blanc, sur papier jaunâtre, de 15 p. de h. sur 9 p. de l. [405×243 mm]«. (fl. 0-16, Henri) 1 Vielleicht Guillaume Jean Constantin (1755– 1816), Paris, Kunsthändler (L. 3000) Johann Friedrich Städel (1728–1816), Frank- furt am Main ( Catalogue 1825) Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, Stiftung 1816, Catalogue 1825, École italienne, »Lazarino Bramante, Vieillard à mi-corps à la tête baissée et se soutenant des deux mains sur un baton. Il porte une calotte qui lui cache tous les cheveux et un manteau. Bon dessin au crayon rouge. 9×14 ' 9 [243×398 mm]«, Inventar 1862, als B. Pinturicchio, Inv. 455 In der Sammlung von Johann Friedrich Städel war diese Zeichnung unter dem Namen von Lazarino Bramante eingeordnet. Im 18. Jahrhundert war damit Donato Bra- mante (um 1444–1514) gemeint, der in Mailand als Maler und Architekt gearbeitet hatte, bevor er an den päpstlichen Hof nach Rom wechselte. 2 Unter Papst Julius II. ent- warf er den Neubau der St. Peterskirche, deren Grundstein 1506 gelegt, die aber erst im 17. Jahrhundert vollendet wurde. Vor diesem biografischen Hintergrund könnte das Blatt einen besonderen Reiz besessen haben, da Städel auch eine Darstellung der im Bau befindlichen Peterskirche besaß (Abb. 35). 3 Diese Zeichnung galt nach einer handschriftlichen Notiz des früheren Besit- zers Ploos van Amstel als Werk von Maarten van Heemskerck (1498–1574). Nach der Baugeschichte von St. Peter kann sie jedoch nicht vor 1580/1582 ausgeführt worden sein; daher wurde die Autorschaft Heemskercks, der Rom 1537 verlassen hat, zugunsten eines unbekannten niederländischen Zeich- ners abgeändert. Kopf und Oberkörper eines alten Mannes ist mit roter Kreide gezeichnet. Der warme Farbton verleiht dem Körpervolu- men eine weiche, mit weißer Kreide sensibel verstärkte Modulation. Technik und natura- listische Auffassung werden die Beurteilung als Arbeit der lombardischen Schulen begrün- det haben, die zuerst mit der Zuschreibung an Bramante, später mit einer nur allgemei- nen, nicht namentlichen Lokalisierung in diese Region wiederholt vertreten wurde. Nach den durchstochenen Konturen zu urteilen, könnte es sich um die letzte, im Maßstab des späteren Bildes ausgeführte Vorzeichnung, einen Karton, handeln (ein Gemälde mit einer entsprechenden Figur ist bekannt), trotz der etwas schwer- fälligen Zeichenweise wird es aber keine Kopie sein. 4 Ob Vorstudie oder Nachzeich- nung, die Arbeit diente vermutlich als Refe- renzblatt innerhalb eines Werkstattbetriebs. Vielleicht erklärt sich aus dieser Funktion die – für die Zeit um 1500 – ungewöhnliche
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1