Leseprobe

148 Deutsche Zeichnungen Feder in Schwarz und Wasserfarben, 403×509 mm (maximale Abmessungen, die oberen Ecken auf dem Auflagekarton retouchiert); ganzflächig aufgelegt Wasserzeichen und Stegabstände nicht feststellbar (Wasserzeichen des Auflage­ kartons: Fragment eines Adlers) In der Mitte, im Segel, beschriftet mit der Feder in Braun »vrom« (?) 1 Auf der Rückseite (auf dem Auflagekarton) unten links beschriftet mit Grafit- oder Bleistift »hans holbeins | O« (gegenüber der Vorder- seite um 180° gedreht), unten rechts mit schwarzem Stift »a«, unten links Stempel des Städelschen Kunstinstituts (L. 2356) PROVENIENZ Johann Friedrich Städel (1728–1816), Frankfurt am Main (sammlungsgeschichtlich erschlossen, s. Anhang/Dok.) 2 Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, Stiftung 1816, Inventar 1862, als H. Holbein jun., Inv. 678 46 Hans Holbein der Jüngere (Augsburg 1497/98 –1543 London) Schiff mit Matrosen, Landsknechten und einer Marketenderin, um 1532/1535(?) Mit Ausnahme von Joachim von Sandrart, der die Künstler der deutschen Renaissance ausführlich würdigte, haben sich die euro­ päischen Kunstschriftsteller seit Karel van Mander (1604) für diese Epoche vor allem auf die Namen von Dürer und Hans Holbein dem Jüngeren beschränkt. Es ist symptoma- tisch, dass Pierre Jean Mariette 1741 in der Sammlung von Pierre Crozat die Zeichnun- gen dieser beiden Künstler ausführlich kom- mentierte, aber andere Meister – darunter Lucas Cranach – nur am Rande erwähnte; eine übereinstimmende Gewichtung findet sich auch bei Antoine-Joseph Dezallier d’Ar- genville, 1762. 3 Für Mariette zeichnet sich Holbeins Stil ( goût ) gegenüber Dürer durch eine größere Klarheit aus; die Zeitgenossen des Künstlers hätten ihn als Wunder gese- hen, aber auch in der Gegenwart sei sein Ansehen kaum geringer. 4 In dieser histori- schen Perspektive ist es nicht verwunder- lich, dass zur Sammlung von Johann Fried- rich Städel neben Werken Dürers auch eine Zeichnungsgruppe von Holbein gehörte. 5 Arbeiten aus anderen Regionen standen dagegen im Hintergrund, nur aufgrund einer irrigen Monogrammauflösung wurde eine Zeichnung (Abb. 80) dem Augsburger Hans Burgkmair (1473–1531) zugeordnet, andere Schulen waren nur indirekt präsent (Abb. 79) oder fehlten, wie Werke Cranachs, vollstän- dig, abgesehen davon, dass fehlende bio­ grafische Kenntnisse eine Künstlerbenen- nung erschwerten. 6 Dezallier d’Argenville und Johann Rudolf Füßli, 1808, haben die Vita Holbeins nachge- zeichnet, seine frühen Jahre in Basel, wohin er von Augsburg mit seinem Vater gekom- men war, seine druckgrafischen Arbeiten, seinen ersten Aufenthalt, von 1526 bis 1528, auf Vermittlung von Erasmus von Rotterdam in England, wo er sich dann 1532 endgültig niederließ und vor allem als Porträtist für die Mitglieder der Londoner Niederlassung der Hanse und der englischen Nobilität arbeitete und als Hofmaler im Dienst König Heinrichs VIII. (1491–1547) stand. 7 Es wird angenommen, dass die Frankfurter Zeichnung um 1533/1535 entstanden ist, wobei offen zu bleiben hat, ob sie auf eine von den Hansekaufleuten bestellte Dekora- tion oder einen anderen Zusammenhang zu beziehen ist. 8 In der Zeichnung gibt es einige Merkwür- digkeiten: Trotz des guten Fortkommens bei achterlichem Wind – noch gesteigert durch die rechts etwas niedrigere Horizont- linie – gibt es keinen Steuermann, zwei See- leute ziehen an den Enden ein und desselben Taus, als Passagiere sind Landsknechte an Bord, denen Pfeifer und Trommler zum Tanz aufspielen. Dieser Widersinn wird ergänzt durch leichtfertigen Müßiggang, Unzucht und Trunksucht. Das Schiff ist Sinnbild der Leichtlebigkeit, und vielleicht war als Pen- dant die Darstellung eines tugendhaften Lebenswandels geplant. 9 Holbeins Zeichen- weise mit großzügig festgelegten Konturen – Kennzeichen einer abschließend redigier- ten Reinzeichnung – führt zu einer klaren Abbildlichkeit mit hoher erzählerischer Dichte. 10 Hieran könnte schon Mariette die Eigenart Holbeins gegenüber Dürer festge- macht haben. Abb. 80 Hans Baldung Grien, Umkreis, Scheibenriss mit dem Wappen des Grafen Christoph von Gleichen , 1545, Feder in Braun, rote Kreide, 318×209 mm (Inv. 650)

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