Leseprobe
236 Niederländische und flämische Zeichnungen Schwarzer Stift, Pinsel in Grau und Hellblau, 237×347 mm; ganzflächig aufgelegt, allseitige Einfassungslinie mit der Feder in Dunkelbraun Oben links mit schwarzem Stift bezeichnet »CBerghem [CB ligiert] f | 1650«, oben rechts »dit is het Kasteel van | benhem« Wasserzeichen nicht feststellbar, Stegabstände (horizontal) |26|25|25|25|25|25| Auf der Rückseite (auf dem Auflagekarton) in der Mitte Stempel des Städelschen Kunst instituts (L. 2356), mit der Zahl »6« (auch als »9« zu lesen) überstempelt, unten links Stempel des Städelschen Kunstinstituts (L. 2356), unten rechts die dazugehörige Inventarnummer »N° 3842« (Bleistift) PROVENIENZ Vermutlich Jacques Gabriel Huquier (1695– 1772), Paris (vgl. L. 1285); Versteigerung Huquier: François Charles Joullain fils & Antoine-Claude Chariot, Paris, 9. November 1772 (Lugt 2075), Nr. 234, »Vue d’une mon- tagne, & d’un château dans le fond, avec figures & animaux; dessein plein d’esprit & d’intelligence, à la pierre noire & lavé à l’encre de la Chine, par le même [Nic. Berghem], en 1650: haut. 8 pouc. 9 lig. Larg. 12 pouc. 10 lig. [236×346 mm]« (liv. 45-10, de Laudec) 1 Johann Friedrich Städel (1728–1816), Frankfurt am Main (sammlungsgeschichtlich erschlossen, Anhang/Dok.) Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, Stiftung 1816, Inventar 1862 als N. Berghem, Inv. 3842 89 Nicolaes Berchem (Haarlem 1621/22 –1683 Amsterdam) Landschaft mit dem Schloss von Bentheim, 1650 Wie oben rechts auf der Zeichnung vom Künstler notiert, ist das Schloss von Bent heim am Niederrhein dargestellt, allerdings räumlich weit zurückgesetzt links im Mittel- grund. Man geht davon aus, dass die Dar- stellung auf eine Reise zurückgeht, die Ber- chem 1650 zusammen mit seinem Freund, dem ebenfalls aus Haarlem stammenden Landschaftsmaler Jacob van Ruisdael (1628/29–1682), nach Bentheim geführt hat. Ruisdael hat eine Ansicht des Schlosses 1651 auf einem Gemälde (Privatbesitz), Berchem das Motiv etwas später auf zwei Gemälden von 1656 aufgegriffen. 2 Auf der Frankfurter Zeichnung melkt vor einem hoch aufragenden Felsen eine Frau Kühe, zwei Männer – Hirten – ruhen sich aus, links ist noch eine Figur mit zwei Eseln zu erkennen. Bentheim ist aus nordwest licher Richtung gesehen, mit Blick auf die Kronenburg, dem Wohngebäude, rechts davon steht der sogenannte Pulverturm und links, am Ende der Befestigungsmauer, ist der Turm der Katharinenkirche auszu machen. Das Gegenüber von Felskulisse und entfernter Schlossansicht spielt mit dem eigenwilligen Kontrast zwischen der Unbe- rührtheit der Natur und der dominierenden Präsenz des Menschen. Das Schloss war ein beliebtes Sujet, auch Anthonie Waterloo (s. Kat. 86) hat es etwa ein Jahrzehnt später aus einem ähnlichen Blickwinkel auf einer Zeichnung in Haarlem festgehalten. 3 Die Natur Hollands war seit dem beginnenden 17. Jahrhundert ein wich- tiges Thema für niederländische Künstler (s. Kat. 71), im 18. Jahrhundert kamen aus patriotischen Gründen topografisch genaue Stadtansichten hinzu (s. Kat. 95). Allerdings haben niederländische Meister – wie der Künstler Lambert Doomer (1624–1700), von dem Städel eine Ansicht von Cowes Harbour, Isle of Wight besaß – auch andere Regionen bereist (Abb. 123). 4 Berchem wird von Städel in Übereinstimmung mit zeitge- nössischen Stimmen vor allem für seine Darstellungen von lichtdurchfluteten Land- schaften geschätzt worden sein. 5 Städel besaß von dem Künstler (s. Kat. 90) wie von den verwandten Arbeiten niederländi- scher Italienreisender – den sogenannten Italianisanten – eine beachtliche Werk- gruppe (s. Kat. 91). 6 Berchem entschied sich, Bentheim bei einem niedrigen Sonnenstand so zu zeigen, dass die Schlossfassade und der Felsen vom Licht getroffen werden. Es ergibt sich eine entspannte Abendstimmung, ein Idyll, in dem mit den Hirten die Mühsal der Land arbeit nur angedeutet wird. Die Zeichen- weise wirkt skizzenhaft. Mit Feder und Pinsel scheinen kantige, disparat wirkende Farb spuren aufgetragen, sie verbinden sich aber zu einer homogenen Darstellung. Die Auf- schriften, vor allem der Ortsname scheinen spontan notiert, als ob die Zeichnung eben fertig geworden sei. Dies wird aber kaum zutreffen. Das große Format und die ausge- wogene Komposition sprechen dafür, dass es sich um eine im Atelier redigierte Arbeit handelt. Die dezente Blaueinfärbung der Himmelszone ist in diesem Sinne als ab schließende Hinzufügung zu verstehen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine bild- mäßig ausgeführte, autonome Zeichnung. Abb. 123 Lambert Doomer, Ansicht von Cowes Harbour, Isle of Wight , 1646, Kohle und Aquarell, 162×363 mm (Inv. 3707)
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