Leseprobe

238 Niederländische und flämische Zeichnungen Feder in Braun, braun laviert, über schwarzer Kreide, gegriffelt, 191×270 mm; allseitige Einfassungslinie mit der Feder in Braun, ganzflächig aufgelegt Oben rechts bezeichnet mit der Feder in Braun »CBerchem [CB ligiert] f: | 1655« Wasserzeichen nicht vorhanden, Stegabstände (horizontal) |24|24|25|25|25|24|24| Auf der Rückseite (auf dem Auflagekarton) unten links beschriftet mit der Feder in Braun »3840 II—  B«, unten rechts in der Ecke mit schwarzem Stift »eru [?]«, unten rechts Stempel des Städelschen Kunstinstituts (L. 2356), mit »6« (auch als »9« zu lesen) überstempelt, erneut gestempelt, die dazu­ gehörige Inventarnummer 3834 (Bleistift) in der Mitte in einem Oval PROVENIENZ Jan Jansz. Gildemeester (1744–1799), Amster- dam; Versteigerung Gildemeester: Philippus van der Schley, Cornelis Sebille Roos, Jan de Bosch, Jan Yver & Roelof Meurs Pruyssenaar, Amsterdam, 24. November 1800 (Lugt 6156), Omslag H, Nr. 2, »Een bergachtig Landschap met een stil Water: op den voorgrond gaat een Vrouw met een pak onder den arm door een Waterbeekje, verzeld van twee Ossen, een Schaap, Bokje en Hond, ter zyde een Paard, drinkende, waarop een Landman; verder een Herder te Paard rydende en eenig Vee voort- dryvende, alles zonachtig en konstig met de pen en roet geteekend, benevens het Printje van C. de Visser ; door denzelven [N. Ber- chem]. « ( fl. 215-0, van der Schley) Johann Friedrich Städel (1728–1816), Frankfurt am Main ( Catalogue 1825) Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, Stiftung 1816, Catalogue 1825, École flamande, »Nicolas Berghem, Paysage avec un troupeau de gros et de menu betail. [Bezeichnung] Berchem f 1655. À la plume et au bistre. 9  ' 10×7 ' 3 [265×196 mm]«, Inventar 1862, als N. Berghem, Inv. 3834 90 Nicolaes Berchem (Haarlem 1621/22 –1683 Amsterdam) Hirten durchqueren eine Furt, 1655 Die Zeichnung hat dem Haarlemer Kupfer- stecher und Verleger Cornelis Visscher als maßgleiche Vorlage für eine Radierung gedient, die die Komposition allerdings spiegelbildlich wiedergibt. Der Druck gehört zu einer vierteiligen, 1655 entstandenen Landschaftsfolge, die Wiedergabe der Frankfurter Zeichnung bildet darin das dritte Blatt. Johann Friedrich Städel hatte in seiner Sammlung mit der ganzen Folge auch einen Abzug dieser Grafik. 1 Auch die anderen Entwürfe für die Serie, ebenfalls 1655 datiert, wurden von Visscher im Gegensinn reproduziert. 2 Dies legt nahe, dass sie von vornherein als Vorzeichnungen für die Vervielfältigung geschaffen wurden. Die Druckfolge schildert unspektakuläre Szenen: das Zusammentreffen an einem Brunnen, das Stillen eines Kindes vor einer Hütte oder, wie in Frankfurt, durstige Tiere mit ihren Hirten beim Durchqueren einer Furt. Die Helligkeitswerte hat Berchem mit verschiedenen, fein nuancierten Brauntönen abgestuft und die Umrisse mit dunkelbrau- nen Federstrichen sparsam, fast verein­ fachend hervorgehoben. Trotz der Unmit- telbarkeit, mit der das Geschehen episoden- haft festgehalten scheint, ist die Szene sorg- sam durchkomponiert. Die lichtdurchflutete Atmosphäre, die – darauf lässt die Lichtfüh- rung schließen – einem niedrigen Sonnen- stand entsprechen soll, ruft den Eindruck einer idyllisch verklärten, südlichen Abend- stimmung hervor. Diese Landschaftsauffas- sung steht neben Darstellungen der hollän- dischen Landschaft, die in den Niederlanden seit dem beginnenden 17. Jahrhundert (s. Kat. 71, 87) einen besonderen Stellen- wert eingenommen hat. Die Übergänge waren allerdings fließend, Berchems Zeit­ genosse Herman Naiwincx (1623 – nach 1651) hat auf einem kleinen Blatt mit einer sehr hellen Lavierung eine verwandte Stim- mung für eine nicht minder ideale, aber nordeuropäisch anmutende Szenerie erzielt (Abb. 124). 3 Man geht heute davon aus, dass Berchem Italien nicht selbst kannte, sondern seine künstlerische Auffassung von holländischen Meistern übernommen hat, die in den Süden gereist waren. Für Berchem könnte Pieter van Laer (1599–1642?) prägend gewesen sein, der 1623 nach Rom aufgebrochen war und nach seiner Rückkehr in Haarlem, 1641, eine einflussreiche Position eingenommen hat. Hier kann Berchem dessen vorbildhafte Entwürfe und Zeichnungen kennengelernt haben. Werke der sogenannten Italianisan- ten (niederländische Künstler, die in Italien gelebt und gearbeitet haben) waren bei Sammlern des 18. Jahrhunderts besonders beliebt, vielleicht, da ihr Themenkreis – die Darstellung des alltäglichen Lebens und vor allem der Landschaft – eine Alternative zur akademischen Kunstlehre mit der Bevorzu- gung historischer Sujets bildete. Mit weit über dreißig Blatt (s. Kat. 89) hatte Johann Friedrich Städel unter Berchems Namen eine beachtliche – im Umfang kaum hinter Rembrandt, Carracci oder Guercino (Kat. 13–15, 20, 79–81) zurückstehende – Gruppe zusammengetragen, davon wurde jedoch später etwa die Hälfte aus dem Kunstinstitut verkauft. 4 Abb. 124 Herman Naiwincx, Links eine Felspartie mit Bäumen an einem Gewässer, rechts hohe Felsen , 1640/1650 (?), Schwarzer Stift (Kreide?), hellbraun laviert, 145×209 mm (Inv. 908)

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