Leseprobe
22 — Lisa Teske | Volker Messing Untergrund« Beate Zschäpe zu der Er- kenntnis gelangt, dass es in Einzelfällen möglich sein müsse, mehr Pressevertre- ter an der Verhandlung zu beteiligen, als es die Größe des Gerichtssaals zulässt. Daher ist in § 169 Satz 3 GVG eine Vor- schrift eingefügt worden, die die Ton- übertragung in einen Arbeitsraum für Pressevertreter erlaubt, wenn das Ge- richt dies zulässt. Dazu soll das Gericht im jeweiligen Einzelfall kritisch prüfen, ob die besondere mediale Aufmerk samkeit einem spezifischen, über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehen- den, öffentlichen Interesse geschuldet ist, das mit den persönlichen Belangen des oder der Angeklagten in Abwägung zu bringen ist. Ferner soll berücksichtigt werden, für wie viele Medienvertreter und -vertreterinnen der Gerichtssaal bereits Platz bietet, wie viele weitere Plätze in dem Arbeitsraum zur Verfü- gung stehen und ob die Summe der damit zur Verfügung stehenden Plätze angesichts der Bedeutung des Verfah- rens für die Öffentlichkeit angemessen erscheint.2 Daneben erlaubt die Neufassung von § 169 GVG den Bundesgerichten, also dem Bundesgerichtshof (BGH), dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bun- desfinanzhof, dem Bundessozialgericht und dem Bundesarbeitsgericht, für die Verkündung von Entscheidungen in besonderen Fällen Ton- und Filmauf- nahmen zuzulassen. Allein der öffent- lich-rechtliche Sender »phoenix« hat im Jahr 2019 in 23 Verfahren des Bun desgerichtshofs die Verkündung und Begründung des Urteils ausgestrahlt. Seltener wurden auch Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte gesen- det, so zum Beispiel die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des »Kükenschredderns«. Dabei handelt es sich jedoch nur um Einzelfälle. Viele Urteile, die unter die neue Ausnahmeregel fallen, werden von der Presse nicht für ausreichend relevant befunden, um eine Livebericht- erstattung zu rechtfertigen. Die für die Presse besonders interessanten Ge- richtsverfahren sind nach wie vor Straf- prozesse, und zwar diejenigen, die in erster Instanz vor den Landgerichten stattfinden, insbesondere wenn es um Mord und Totschlag geht. Für deren Verhandlungen gilt jedoch nach wie vor uneingeschränkt das Verbot der Ton- und Fernsehaufnahmen. Die Revisions- verhandlungen gegen deren Strafurteile finden vor dem BGH statt. Bei ihnen wird jedoch eine Liveberichterstattung wegen des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen vielfach nicht zugelassen. Da die Angeklagten vor dem BGH im Revisionsverfahren nicht selbst erschei- nen müssen, sondern sich durch einen Strafverteidiger oder eine Strafvertei digerin vertreten lassen können, dürfte oftmals auch kein größeres Interesse des Publikums an einer Aufnahme der Urteilsverkündung bestehen. Denn zumeist ist es der oder die Angeklagte im Strafverfahren, den oder die das Publikum sehen will – die Gelegenheit, einem »echten« Mörder oder einer Mörderin Auge in Auge gegenüber zutreten, hat man sonst schließlich nirgendwo so einfach. 5 Modell zum heutigen Gebäude des Ober- landesgerichts Hamm, vom Bau- und Liegen- schaftsbetrieb des Landes NRW (BLB) aus Anlass der Übergabe des Erweiterungsbaus am 7. März 2003 überreicht, 2003
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