Leseprobe

Gerichtsöffentlichkeit – Historie, Wandel, Zukunft — 23 Blick in die Zukunft Doch dieses »Erlebnis« wird weiterhin der Saalöffentlichkeit vorbehalten sein und das ist mit Blick auf die Persön­ lichkeitsrechte von Opfern und Tätern bzw. Täterinnen gleichermaßen auch gut so. In den USA schalteten zuletzt fast 14 Millionen Menschen »Court TV« ein, nur um eine kurze Bewährungs­ anhörung im Verfahren des zu einer Haftstrafe verurteilten ehemaligen Football-Spielers O. J. Simpson live mit- zuverfolgen. Was man einem Profisportler, der das Licht der Öffentlichkeit gewohnt ist, vielleicht noch zumuten kann, will man sich bei einer Durchschnittsperson auch dann nicht vorstellen, wenn sie schwe- res Unrecht begangen hat. Die mediale Vorverurteilung wäre schon Strafe für sich. Auch mancher Zeuge könnte nicht mehr unbefangen aussagen, wenn er wüsste, dass Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen seine Aussage vom Fernseher aus mitverfolgen, von denen einige animiert sein werden, die Aus- sage spontan über ein soziales Netz- werk zu kommentieren und dadurch möglicherweise einen »Shitstorm« auszulösen. Hinzu kommt die Gefahr der Manipu- lierbarkeit: Wird jede Einlassung eines oder einer Angeklagten oder die Aus- sage eines Zeugen bzw. einer Zeugin live an eine nicht näher eingrenzbare Öffentlichkeit übertragen, so besteht die Gefahr, dass dadurch andere Zeugen oder Zeuginnen beeinflusst werden können. Der Gesetzgeber hat nicht ohne Grund bestimmt, dass Zeugen und Zeu- ginnen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen und Zeugin- nen zu vernehmen sind. Dass sie auf dem Gerichtsflur mitbekämen, was gerade im Gerichtssaal passiert, könnte die Suche nach der Wahrheit erschwe- ren. Aus diesem Grund wird in manchen Gerichtsverfahren mittlerweile die Nutzung von Mobiltelefonen und ande- ren mobilen Endgeräten untersagt. Man muss daher keine prophetischen Kräfte haben, um zu sagen, dass zumin- dest vorläufig das Ende einer Entwick- lung erreicht ist, in der sich die Saal­ öffentlichkeit nicht weiter öffnen wird. Das bedeutet, dass es auch in Zukunft Gerichtszeichnerinnen und Gerichts- zeichner geben wird, die allein und exklusiv mit ihren Bildern von den Pro- zessbeteiligten aus dem Gerichtssaal berichten. Für die wenigen, die es heute hierzulande noch gibt und die zudem meistens nur noch nebenberuflich tätig sind, bedeutet dies, dass sie weiterhin die Brille sein werden, mit der die Öffentlichkeit hinter die Türen der Gerichtssäle blickt, die sich zuvor nur für die Prozessbeteiligten und eine kleine, interessierte Öffentlichkeit ge­ öffnet hat. 1 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.8. 2017, Az. 1 BvR 1741/17, Neue Juristische Wochen- schrift (NJW) 2017, S. 3288 ff. — 2  So die Gesetzes- begründung: Bundestagsdrucksache 18/10144, S. 26; vgl. dazu u.a. Herbert Diemer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 169 Rn. 11b.

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