Leseprobe

149 ehrten, in Saint Pauls Cathedral, aufgetürmt einst über den Ruinen ihrer abgebrannten Hauptstad, die mit ihrer mächtigen Kuppel dem römischen Petersdom Konkurrenz macht. Zusammen mit den Börsch-Supans fuhr ich hinaus nach Hampton Court, wo der mächtige Kardinal und Lordkanzler Thomas Wolsey sein weiträumiges Backsteinschloss hatte errichten lassen. Er war reicher als der König und sagte ihm obendrein unangenehme Wahrheiten. Deshalb muss- te er als sein Gefangener sterben. Von Hampton Court fuhr ich allein weiter nach Twickenham und lief zu Fuß bis nach Strawberry Hill. Mich interes- sierte der Inkunabel-Bau der europäischen Neogotik, weil ein Sir Horace Walpole hier schon 1750 dem gotischen Stil seine Referenz erwiesen hatte. Zusammen mit deutschen Freunden durfte ich in einem alten VW-Kä- fer zum königlichen Sommerschloss Windsor fahren. Es liegt fünfzig Kilo- meter westlich von London über der gemächlich zwischen grünen Ufern hinfließenden Themse. Seine hohen Mauern standen weiß gegen den blau- en Himmel. Im Touristenpulk ließen wir uns durch die State Appartments, Prunksäle und Kapellen treiben. Aus den Fenstern sah man in einiger Ent- fernung die roten Backsteingebäude des Eton College liegen, jener traditi- onsreichen Public School, auf der bis heute Englands Eliten erzogen werden. Am Tag danach hatte ich eine Gastvorlesung vor Studenten des be- rühmten Courtauld Institutes für Kunstgeschichte an der Londoner Uni- versität zu halten. Sein Direktor Alan Bowness, später Chef der Tate Gallery, verstand viel von moderner Kunst. Er lud mich zum Essen ins Künstlerlokal »Bertorelli« ein, führte mich durch sein Institut und zeigte mir die stattliche Bibliothek, das Bildarchiv und zum Schluss die reiche Gemäldesammlung mit alten Meistern und modernen Franzosen. In der Nähe der englischen Ostküste liegt das Städtchen Norwich. Es ist berühmt für seine prachtvolle normannische Kathedrale und seinen scharfen Senf. Die Fahrt mit der Eisenbahn durch die flachen Gegenden Südenglands war lang. Am Bahnhof erwartete mich John Gage. Mit seinem klapprigen, schrottreifen alten Ford brachte er mich zum Campus der na- gelneuen, hochmodernen East Anglia University. Ordinarius für Kunstge- schichte war der deutsche Emigrant Peter Lasko. Am Abend zeigte sich der große Hörsaal überfüllt, und ich merkte gleich, dass mein Vortrag über die Dresdner Romantik auf großes Interesse stieß. Die Studenten zeigten sich hoch motiviert und hatten viele Fragen. Für mich war die Verständigung schwierig. Mein Englisch hatte ich vor sechzig Jahren in der Schule gelernt und seitdem nie wieder gebrauchen können. John moderierte ohne zu stottern. Ich spürte, dass die jungen Leu- te ihn mochten. Von meiner denkwürdigen Englandreise blieb mir die freundschaftli- che Aufmerksamkeit der englischen Kollegen nachhaltig in Erinnerung. Ständig war ich ihr Gast in Restaurants, Hotels oder auch in ihren Häusern. Niemand zeigte Vorbehalte wegen meiner Herkunft aus dem kommunisti- schen Osten. Am letzten Tag noch führte mich Will Vaughan zu Sotheby’s und Christie’s, wo ich zum ersten Mal eine Kunstauktion erlebte. Am Abend, es war mein letzter, hatte er Karten für das Palace Theater besorgt. Man gab

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