Leseprobe

218 Budapester Episode Einer kleinen Ungarnreise ist noch zu gedenken, die mir im heißen Juni 1988 zufiel, weil bei uns dafür vermutlich gerade kein leitender Genosse zur Verfügung stand. Ich hatte mit der Leitung der Nationalgalerie über die Entsendung einer Ausstellung zu verhandeln. »Tage der DDR-Kultur in Ungarn« würden im Frühjahr 1989 stattfinden, und unsere Galerie sollte Bilder der Dresdner Malerei des 20. Jahrhunderts an die Donau schicken. Noch ahnte niemand, dass schon ein Jahr später die Regierung des »Bru- derlandes« für tausende ostdeutscher Ungarnurlauber die Grenzzäune nach Österreich öffnen würde. Mein Verhandlungspartner, ein sehr ele- ganter Herr Czorba, Vizedirektor der Nationalgalerie, versuchte jedenfalls, sein geringes Interesse an der angebotenen Ausstellung aus der ungeliebten DDR hinter höflichem Charme zu verbergen. Hier dachten sie offenbar längst schon prowestlich-europäisch. Im neuerrichteten Königlichen Ba- rockschloss, das beim Ungarnaufstand 1956 russische Panzer zerschossen hatten, signalisierte eine exzellente Dauerausstellung der internationalen Moderne aus der Aachener Sammlung Ludwig ganz neue Horizonte kultu- reller Zusammenarbeit. Ein Spaziergang führte mich am Abend über unendliche Treppen hin- auf zum Burgbezirk. Lange noch blieb es hell an diesem längsten Tag des Jahres. Weit ging der Blick von der Fischerbastei über die in Dämmerung sinkende Stadt mit den nach und nach aufblitzenden Lichterketten ihrer Do- naubrücken. Über dem neuen Hilton-Hotel stand eine schmale Mondsichel. Natürlich besah ich mir anderntags das berühmte Museum der Bil- denden Künste. Kernstück der Gemäldegalerie ist die Sammlung Esterházy mit wunderbaren Werken vor allem der großen Spanier wie Velázquez, El Greco und Goya und moderner Franzosen. Am Nachmittag wurde mir die sommerliche Hitze zu groß. Da fuhr ich mit der Tram hinaus zum berühm- ten Gellértbad, von dem ich schon viel gehört hatte. Ich weiß nicht, ob es einen Baedeker für Budapest gibt. Dort müssten diesem wunderbaren Lustort zu Füßen des Gellért-Berges drei Sterne vorangestellt sein. Es ist, als tauche man aus des Tages Lärm und Hitze in eine andere Welt ein. Man begibt sich in eine Zone beschaulicher Stille, benebelt von feuchten Dämp- fen und angenehmen Gerüchen. In dieser exotischen Umgebung aus rotem Marmor, vergoldeten Säulen und türkisfarbenen Kacheln fühlte ich mich sogleich wohlig entspannt und segnete die von den Osmanen hinterlassene Bäderkultur. Als ich zurückflog, blieben mir zwei der stärksten Gemälde vor allem in Erinnerung, die über die Jahrhunderte hinweg auf seltsame Weise mitei- nander korrespondieren: Pieter Bruegels des Älteren »Predigt Johannes des Täufers« von 1566 und Adolph Menzels »Predigt im Freien« von 1868, ein Jahr nach unserem »Tuileriengarten«. Da war es noch undenkbar, dass wir 17 Jahre später unseren schönsten Menzel durch Dummheit und feige poli- tical correctness verlieren würden.

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