Leseprobe
55 SUSANN BUTTOLO Variabilität und industrielles Bauen. Serielle Vielfalt im Wohnungsbau Die verschiedenen Formen des modernen Wohnens, vor allem auch ihre Ausführung auf der Grundlage vorgefertigter Elemente, beschäftigten Manfred Zumpe seit seinem Einstieg in das Berufsleben. Anlass dafür war die schon während seiner Assistententätigkeit an der TH Dresden zu beobachtende Problematik, dass die DDR mit der Einführung industrieller Baumethoden im Jahr 1955 zwar grundsätzlich an das zeitgenössische internationale Bauen anknüpfte, jedoch streng nach der 1954 von Nikita Chruschtschow formulierten Maßgabe »besser, billiger und schneller bauen« auf einheitliche, durchökonomisierte Typenprojekte setzte. Manfred Zumpes Anspruch war daher, der drohenden architektonischen und städ- tebaulichen Monotonie mit neuen Ideen entgegenzuwirken. Durch seine Promotion, die einige Jahre später folgende Habilitation und andere Forschungsarbeiten hatte er sich nicht nur fundierte Kenntnisse über das Wohnen im 20. Jahrhundert angeeignet, sondern verfügte auch über ein weites Netzwerk zu Architekten wie Walter Gropius (1883–1969) oder Harry Seidler (1923–2006) im In- und Ausland. Die erste Gelegenheit, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse praktisch anzuwenden, bot sich Manfred Zumpe während seiner Jahre in Berlin-Ost. Dort war er zunächst als Architekt an der Deutschen Bauakademie und anschließend als Leiter einer Entwurfsabtei- lung im VE Wohnungsbaukombinat Berlin tätig. Trotz der Spaltung der Metropole durch den Mauerbau war auch in ihrem Ostteil die für die 1960er Jahre typische Aufbruchsstim- mung und Technikeuphorie deutlich zu spüren. Durch die drängende Wohnungsnot mün- dete dies auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus in zahlreiche architektonische Zukunfts- visionen, die, zuweilen radikal modern, Stadt-Träume als Stadt-Räume definierten. Nicht selten war mit ihnen die Hoffnung verbunden, der neuen Gesellschaft mit Hilfe der neuen Bauweise ein unverkennbares Gesicht zu verleihen (was gern auch ideologisch als »Über- legenheit des Sozialismus« besetzt wurde). 1 Als Manfred Zumpe und Hans-Peter Schmiedel 1963 den Auftrag erhielten, für die Hauptstadt der DDR völlig neue Wohnhochhäuser nach dem neuesten Stand der Technik zu entwickeln, lag ihnen jegliche politische Zeichensetzung fern. Neben allen Anstrengungen für die Zentrumsplanung sahen sie vor allem die dringende Bauaufgabe, Wohnraum für die schnell wachsende Bevölkerung zügig und mit hohem funktionalen wie auch gestalterischen Wohn- und Gewerbekomplex Leipziger Straße in Berlin, nicht realisierter Entwurf von Manfred Zumpe und Hans-Peter Schmiedel, 1968 Zeichnung Hans-Peter Schmiedel
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