Leseprobe
Die Geschichte der Kunstschule Plauen 1877–1945 30 der Forderung nach einem weiten Wirkungskreis. Auch hier wurde darauf Wert gelegt, »den ausfüh- renden Hilfskräften in den Fabriken und Ateliers der Musterzeichner das Verständnis für Form und Farbe, was bei der Uebertragung der Muster- entwürfe auf die Patrone oder Schablone erforder- lich ist, zu vermitteln«. 9 Die seit 1877 bestehende Frauenarbeitsschule unter Anna Rabenstein wurde 1890 als Frauen-Industrie schule in die neu gegründete Königlich Sächsische Industrieschule Plauen integriert. Die Unterrichts fächer umfassten Freihandzeichnen, Handnähen, Maschinennähen und Wäschekonfektion, Kleider- machen, Schnittzeichnen für Wäsche und Kleider, Handsticken, Rechnen und Buchführung, Deutsche Sprache, Plätten und Putzmachen. Die Fabrikantenschule war für junge Unter- nehmer gedacht, die ein technisches Grundwissen der Stickerei undWeberei sowie im Zeichnen erlan- gen sollten. Die expandierende Stickereibranche verlangte nach technischen Fachkräften, vor allem nach Maschinenstickern. Deshalb reiste Hofmann 1898 nach St. Gallen, um die dortige Stickerfach- schule zu besichtigen. Am 1. April 1899 wurde da raufhin die Vogtländische Stickerfachschule in den ehemaligen Räumen der ersten Plauener Maschinen- stickerei in der Hofwiesenstraße 7 gegründet. Am 8. Oktober 1908 wurde das Schulgebäude in der Heubnerstraße bezogen. Träger der Schule war der Vogtländisch-Erzgebirgische Industrieverein , wäh- rend die Verwaltung in den Händen eines Ausschus- ses von Fabrikanten der Stickereiindustrie lag. Die Leitung erhielt der Direktor der Industrieschule. Richard Hofmann verstand es, ein Netzwerk zwischen Bildung und Industrie aufzubauen. Er war maßgeblich an der Gestaltung der Präsentation auf den Weltausstellungen beteiligt. In Paris war es Hof- mann 1900 gelungen, eine Kollektivausstellung der Stickerei-, Spitzen- und Gardinenproduzenten zu arrangieren. Das gemeinsame Auftreten wurde durch den Grand Prix und mehrere Goldmedaillen gekrönt. 10 1903 beantragte der Direktor der Industrie schule in Dresden die Namensänderung in »Königli- che Kunstschule für Textilindustrie«: »Das Königliche Ministeriumwolle genehmigen, daß die Bezeichnung der hiesigen Schule als Industrieschule in Wegfall komme und dieselbe zukünftig den ihren Zweck, ihrer Aufgabe und ihrer Stellung entsprechenden Titel ›Königliche Kunstschule für Textilindustrie‹ führe.« 11 Das Ministerium des Innern stimmte noch im gleichen Monat zu. In der Folgezeit wurden zwei neue Abtei- lungen eingerichtet. Es gab nun Fachkurse für Lehr- linge der Musterzeichner und Fabrikanten sowie einen Vorbereitungskurs für Handarbeitslehrerinnen. Hofmann war es nicht vergönnt, sein Schaf- fenswerk weiter fortzuführen. Am 24. November 1904 verstarb er nach kurzer Krankheit im Alter von 53 Jahren. Direktor Albert Forkel (1905 – 1921) Am 1. Mai 1905 wurde Albert Forkel zu seinem Nach- folger ernannt, obwohl einige Stickereifabrikanten und Musterzeichner Albert Hempel favorisiert hatten. 12 Forkel setzte sich für ein modernes Design der Maschinenspitze ein und beschritt zielstrebig neue künstlerische Wege, war dabei aber um eine gute Zusammenarbeit mit den vogtländischen Sti- ckerei-, Spitzen- und Gardinenfabrikanten bemüht. Ihm oblag die schwere Aufgabe, die Kunstschule durch die Kriegs- und Nachkriegszeit zu führen und der Industrie neue Wege aus der Krise aufzuzeigen. Die Schülerzahlen sanken kriegsbedingt auf einen Tiefststand, die jungen Männer wurden eingezogen, und in vielen Familien fehlte das Geld für eine Aus- bildung. Der Vogtländisch-Erzgebirgische Indust- rieverein erweiterte den Unterricht in Richtung Spachtelindustrie, Gardinen- und Spitzenweberei sowie um den Handspitzenkurs von Margarete Nau- mann. Sie war auf Forkels Vorschlag hin in Plauen verpflichtet worden. Die Gestaltungslehrerin vertrat wohl recht rigoros die Ansicht, dass das herkömm- liche Ausbildungssystem überholt sei und hatte so einen Großteil der Lehrer gegen sich aufgebracht. Sie war ihrer Zeit in dem Selbstverständnis, wie sie sich als Frau Gehör verschaffte, weit voraus und wirbelte das eher kleinbürgerliche Milieu Plauens gehörig auf. 13 Albert Forkel hätte sich wohl für ein Leben mit Margarete Naumann entschieden, wie ein inoffizieller Brief des Ministerialbamten Dr. Rö- scher von Anfang März 1916 nahelegt. Doch eine Beziehung zwischen einem Direktor und einer An- gestellten war zur damaligen Zeit unmöglich. Sie mussten abwägen, ob sie ein Paar sein oder ge- meinsam arbeiten wollten und entschieden sich offenbar für Letzteres. 9 SächsStA-D 11125, 18119, Jahresbericht 1900/01, S. 5. 10 Jahresbericht der Kunstschule, 1904/05, S. 6. 11 SächsStA-D 11125, 18119, S. 172, Brief vom 22.6.1903, S. 172−173. 12 SächsStA-D 11125, 18141, S. 11−14. 13 Ebd., S. 98, Vortrag von Margarete Naumann, gehalten in Plauen im Kunstgewerbeverein am 15.11.1919.
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