Leseprobe
Die Geschichte der Kunstschule Plauen 1877–1945 32 Er starb mit 56 Jahren am 21. September 1921. Im März des darauffolgenden Jahres bekräftigte das Dresdner Ministerium in einem Schreiben an den amtierenden Direktor der Kunstschule auf ein erneu- tes Ansuchen, dass für derartige Werkstätten kein Geld vorhanden sei und keine Notwendigkeit für sie bestünde. 19 Direktor Karl Hanusch (1922−1933) Das Gerangel um den Posten des nachfolgenden Direktors führte erneut zur Frontenbildung. Einige Textilfabrikanten um Albert Hempel strebten die Wiedervereinigung von Stickereifach- und Kunst- schule mit klarer Hinwendung zur industriebezoge- nen, technisch fundierten Ausbildung an. Dem ge- genüber standen die Textilkünstler, die neuen Strö- mungen gegenüber aufgeschlossen waren. Die Dresdner Behörde folgte Letzteren und berief am 2. Oktober 1922 den Maler und Grafiker Karl Ha- nusch zum neuen Direktor. Die Verfassung der Kunstschule von 1926 definiert, dass die Kunst- schule »Entwerfer und Entwerferinnen für die ver- schiedenen Gebiete des textilen Kunstgewerbes werklich und künstlerisch heranzubilden und der in der Textilindustrie werktätigen Bevölkerung durch Sonderkurse und Vorträge in das Fach schlagende Kenntnisse zu vermitteln« 20 hat. Außerdem sollte die Anfertigung hochwertiger Textilerzeugnisse vor- bildlich auf den künstlerischen Geschmack der hei- mischen Bevölkerung wirken. 21 Nach den Ideen Forkels gab es nun Fachklas- sen für das Entwerfen und Ausführen von Spitzen, Stickereien, Englischen Gardinen und Tapisserien sowie eine Fachklasse für das Entwerfen und Aus- führen von Möbelstoffen, Fuß- undWandteppichen, Druckstoffen, Tapeten und bunten Gardinen (Ma dras). Neben der Fachklasse für kunstgewerbliche Handarbeiten wurde eine »Klasse für solche Schüler, die eine über Textilfach hinausgehende künstlerische Fortbildung suchen« 22 eingerichtet. Damit begann Hanusch die künstlerische Aus bildung ohne direkten textilen Bezug, die auch nach 1933 weitergeführt wurde. Daraus ging eine ganze Generation vogtländischer Künstler*innen hervor. Hanusch selbst trat weniger als Pädagoge, sondern vielmehr als begnadeter Netzwerker hervor. Er holte moderne Künstler zu Ausstellungen und Vor- trägen nach Plauen und verpflichtete gleichgesinnte Kollegen aus Dresden an die Schule: 1924 Johannes M. Avenarius als Lehrer für Entwerfen, im Folgejahr Otto Lange und 1929Wilhelm Heckrott für Malkurse sowie seinen ehemaligen Studienkollegen Walter Löbering. Karl Hanusch fuhr mit seiner Klasse im Som- mer in die Künstlerkolonie Willinghausen in Hessen. Lisbeth Langhof, von 1928 bis 1933 Schülerin der Entwerferklasse, beschrieb in ihren Erinnerungen die Ausbildungsstruktur dieser Zeit folgendermaßen: »Der Anfang war bei Studienrat Ganßauge Konturen Zeichnen v. Blättern u. Blumen nach der Natur (Blei- stift), weiter bei Prof. Lorenz dieselbe Art mit Licht u. Schatten. Dann die Klasse v. Prof. Hanusch in Porträt u. Figuren. Wir hatten Modelle vom ehemaligen Altersheim am Stadtpark. So war eine Woche Wil- lingshausen angesagt [. . .] Jetzt kam die Klasse Prof. Heckrott, davor hatte ich etwas bammel, denn es ging wiedermal ums Geld. Es war bekannt, wenn er an der Staffelei korrigiert, hatte er keine Hemmungen u. ging mit der Farbe in der Palette großzügig um. Es machte unheimlich Spaß bei ihm zu malen, aber die Farben waren nicht billig [. . .] Es kam die Klasse Prof. Avenarius, Entwürfe f. Spitzen, Ausführung mit weißer Tusche auf schwarzem Bogen. Zum Schluß Prof. Otto Lange, Muster-Entwürfe für Tapeten u. Dekoration. Patronieren bei Prof. Opitz, Klöppeln, Handweben, Kunstgeschichte bei Prof. Löbering, Lichtbildervortrag vorwiegend Ägypten«. 23 Das Entwerferstudium dauerte insgesamt fünf Jahre, ge- gliedert in Sommer- und Wintersemester. Das Schulgebäude gestaltete Hanusch, so- weit finanziell möglich, um. Der Museumssaal wurde in einenmodernenVortragsaal umgewandelt (Abb. 5), das Treppenhaus und die Büroräume in neutralem 19 Ebd., S. 193. 20 SächsStA-D 11125, 18128, S. 209/I, Verfassung der Staatlichen Kunstschule für Textilindustrie zu Plauen. 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Erinnerung von Lisbeth Langhof, aufge- zeichnet 1997, im Nachlass der Familie. »Professor« nannten die Schüler fälschlicherweise alle Lehrer. Löbering erhielt den Titel nie. Abb. 5 Blick in den 1926 modernisierten Vortragssaal im Museum der Kunstschule.
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