Leseprobe

Spitzenherstellung im Vogtland 17 Der Automat als »eiserner Sticker« führte zu einer hohen Produktivitäts­ steigerung durch Wegfall des menschlichen Stickers an der Maschine. Außerdem war eine identische Reproduktion und Exaktheit des Musters, auch beim Sticken der glei- chen Vorlage auf mehreren Maschinen beziehungs- weise späteren Auftragswiederholungen, gegeben. Zur Bedienung war nur die ohnehin notwendige Auf- passerin erforderlich, die während des Maschinen- laufs nach Fadenbrüchen suchte und auch ohne Maschinenstopp mit einem speziellen Werkzeug wieder neu einfädelte (»Gangfädeln«), sowie leere Schiffchen gegen neue, mit Bobinen aufgefüllte, tauschte. Diese sehr kurze technikhistorische Darstellung über den Anfang der Maschinenstickerei muss unvoll- ständig bleiben. Für den Vergleich von Maschinensti- ckerei aus der Schweiz und Deutschland sei noch angemerkt, dass die technische Basis in beiden Sti- ckereigebieten gleich war (abgesehen vomVerhältnis Hand- zu Schiffchenstickmaschinen) und allein durch die zahlreich im Vogtland tätigen Schweizer Stick- meister und die gegenseitigen Zuwanderungen von Musterzeichnern ein gleiches Niveau im Entwerfen und Bedienen der Stickmaschinen gegeben war. Nachdem die bestickte Tüllspitze ab 1880 bis 1912 im Vogtland boomte und sehr viele Maschinen dafür aufgestellt wurden, geriet die vogtländische Spitzenindustrie ab 1913 in eine nicht mehr endende Krise. Bereits 1913 standen 2 135 der 5 552 vor­ handenen Schiffchen­ stickmaschinen in Plauen, Falkenstein und Oelsnitz still. 15 Vielen Stickern war es zudem nicht möglich, die un- genutzten Maschinen während des ab 1914 folgen- den Ersten Weltkriegs zu warten, sodass viele von ihnen, darunter auch moderne, erst 1913 aufgestellte, verschrottet wurden oder verrosteten. 16 Nach Ende des Krieges gab es 1920 noch 11400 Stickmaschinen im Vogtland. Für Plauen sind im gleichen Jahr 1109 Schiffchenstickmaschinen gemeldet, mit einer Länge von 4,5 m (904 Stück) bis 13,5 m (5 Stück). 17 Außer- dem waren 40 Handstickmaschinen aufgestellt, wovon zwei stillstanden. Der Anteil langer Stickma- schinen war im Vergleich mit Konkurrenzindustrien imAusland geringer, da die meisten Lohnsticker ihre kurzen Maschinen seit dem Krieg nicht ersetzen konnten. Damit war die sächsische Spitzenindustrie nach 1918 durch die geringere Leistungsfähigkeit der einzelnen Maschinen benachteiligt. 18 Der Maschinen- bestand fiel weiterhin drastisch ab; 1928 waren nur noch 6500 Hand- und Schiffchenstickmaschinen, davon 1200 Automaten, im Vogtland vorhanden. 19 Besonders die 10 und 15 yards Schiffchenstickma- schinen (Automat und Pantograf) überlebten in Deutschland, da nur sie mit der ausländischen Kon- kurrenz mithalten konnten. Nach der Weltwirt- schaftskrise waren 1935 noch 1 450 Schiffchen- stickmaschinen in Deutschland vorhanden, während es in der Schweiz 1935 nur noch 884 Maschinen gab. 20 Neben demWährungsverfall und der Ungunst der Mode für Stickspitzen wurden der Musterdieb- stahl, die Zwangsregulierung des Import- und Ex- portgeschäfts, der rege Stickereiveredlungsverkehr mit der Schweiz und die ausländische Konkurrenz für die anhaltende Krise der Spitzenindustrie im Vogtland verantwortlich gemacht. 21 Von 1938 bis 1940 stieg der Maschinenbestand wieder leicht an. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mussten je- doch viele der Stickereibetriebe auf Kriegsproduktion umstellen und fertigten beispielsweise Moskito- netze. Die Bombardierung Plauens im April 1945 zerstörte fast die gesamte Industrie in der Stadt. Nach Kriegsende kam zur Spitzen- und Gardinenherstellung auch die weiterentwickelte Raschelmaschine zum Einsatz. Eine Kettenwirkmaschine, die zusammen mit weiteren Vorrichtungen gemusterte Maschenware herstellt. 15 Glier: Die sächsische Stickereiindustrie, 1932, S. 82. 16 SächsStA-C 30048 Amtshauptmannschaft Plauen, Nr. 2762, o. S. Verein der Lohnschiffchenmaschinenbesitzer Plauen an das Wirtschaftsministerium, 10.  7.  1918. 17 Ebd., Stadtratssitzung 1920 zur Lage in der Industrie, Gesuch des Vereins an das Wirtschaftsministerium 1918. 18 Glier: Die sächsische Stickereiindustrie, 1932, S. 203. 19 Ebd., S. 200−201. 20 Vogtländischer Anzeiger 25. 9.  1936, Wirtschaftsteil, o.S. 21 Glier: Die sächsische Stickereiindustrie 1932, S. 110−130.

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