Leseprobe

160 O bwohl der Dreißigjährige Krieg schon bedeutende fürstliche Residenzen wie die in Prag und Heidelberg zerstört hatte und das Heilige Römische Reich immer schwerer verheerte, vermochte es Johann Georg I. noch über viele Jahre, die höfische Kultur in Sachsen in aller Pracht aufrechtzuerhalten. Davon zeugen die groß- artigen Werke der Goldschmiedekunst, die der sächsische Kurfürst in Augsburg erwerben ließ oder bei einheimischen Goldschmieden in Auftrag gab. Zu den Importen zählt auch das Paar Globusträgerpokale. Sie gehören zur Gattung der Automaten und konnten mit- hilfe von Zahnrädern, die sich in ihren hohen Sockeln befinden, dazu gebracht werden, über den Tisch zu rollen. Die Bewegung erzeugen jeweils zwei Zahnräder, die nur ein wenig über die Bodenplatte hinausragen. Ein drittes, ungezähntes Rädchen ist als Führungs- oder Lenkrad schwenkbar befestigt. Dies befähigt die globusförmigen Deckelpokale, sich bei Bedarf selbstständig über eine Tafel zu bewegen. Gerade solche silbernen Statuen, die sich scheinbar selbst bewegen konnten, galten seit der Antike als bewundernswertes Zeichen menschlicher Kunstfertigkeit. Die von Elias Lencker geschaffenen Deckelpokale mit Herkules, der die Erdkugel stützt, und dem heiligen Christophorus mit dem Himmelsglobus erwähnte 1629 auch der Augsburger Patrizier und Kunsthändler Philipp Hainhofer, ein schreibfreudiger und kun- diger Besucher der deutschen Kunstkammern. Im zweiten Gemach der kursächsischen Kunstkammer fand er »Zwaÿ schöne von gantzem silber secundum longitudinem & latitudinem ausgethailte globj, welche als coelestis durch ain vhrwerckh von dem Hercule, terrestris aber von Atlante auf ainem tisch fortgetragen, vnd an stat trinckgeschirren gebraucht können werden«. Der von Herkules mühevoll gestützte Erdglobus lässt sich auf Höhe des Äquators öff­ nen und kann so auch als Trinkgefäß verwendet werden. Zusammen mit seinem Gegen- stück, das sich ebenso nutzen lässt, sind die Globusträger aber vor allem vollendete Kunstkammerstücke. Die gereiften Formen des muskelstarken Herkules und Christopho­ rus zeugen von sicherem Formempfinden und souveräner Beherrschung der Anatomie. Der kraftvolle, aus Silber gegossene und vergoldete Adler des Zeus bekrönt die Erdkugel, das Christuskind den Himmelsglobus. Künstlerischer Ausdruck und handwerkliche Sou­ veränität verbinden sich in diesen großartigen Kunstwerken des Frühbarock. Doch neben der künstlerischen Gestaltung der Figuren und der handwerklichen Bearbeitung des Sil- bers erstaunen selbst den heutigen Betrachter noch die wohl von Johannes Schmidt, der die Erdkugel signierte, exakt eingestochenen geographischen und astronomischen Angaben. So verzeichnet der Erdglobus bereits die erst 1616 entdeckte Meerenge von Kap Hoorn. Die von Elias Lencker angefertigten Pokale sind das gemeinschaftliche Werk eines tech- nisch virtuosen Goldschmieds, eines sorgfältigen Silberstechers, eines findigen Automaten- bauers und vielleicht auch eines Bildhauers, auf den die figürlichen Vorlagen zurückgehen. Deckelpokal, Christophorus mit der Himmelskugel Silber, vergoldet Goldschmiedearbeit: Elias Lencker Gravuren: Johannes I. Schmidt Augsburg, 1626– 1629 H. 64,0 cm/Inv.-Nr. IV 290 Deckelpokal, Herkules mit der Erdkugel Silber, vergoldet Goldschmiedearbeit: Elias Lencker Gravuren: Johannes I. Schmidt Augsburg, 1626– 1629 H. 64,0 cm/Inv.-Nr. IV 294

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