Leseprobe
229 B ereits am 9. Februar 1722 kam der Obeliscus Augustalis im Pretiosensaal des Grünen Gewölbes zur Aufstellung. Damals war die Geheime Verwahrung im Grünen Gewölbe noch ein einfacher Schatzraum. Erst im nächsten Jahr, am 1. Juni 1723, begann unter Leitung des Oberlandbaumeisters Matthäus Daniel Pöppelmann die erste Phase des Innenausbaus, die den bestehenden Renaissanceraum in ein barockes Gesamtkunstwerk verwandelte. Wie kein anderes Kunstwerk hat dieses über zwei Meter hohe Hauptwerk der Schatzkunst die Gestaltung des Grünen Gewölbes geprägt. Das von Dinglinger als Saalmonument konzipierte Kabinettstück definiert und beherrscht in groß- artiger Weise jeden Raum, indem es schon allein durch seine physische Größe, aber auch durch seine materielle Pracht und seine hoheitliche Form zum dominierenden Teil der Innenarchitektur wird. Der Obeliscus braucht eine verspiegelte Wand. Und deshalb muss sich der Aufstellungsraum an dem Kunstwerk orientieren, denn der wandgebundene Obelisk ist so gefertigt, dass er sich erst durch die Wiederspiegelung optisch zu einem vollplastisch erscheinenden Ganzen zusammengefügt. Waren die vorausgehenden großen Kabinettstücke Dinglingers, das Goldene Kaffeezeug und der Thron des Großmoguls, noch darauf ausgelegt, in Teilen in die Hand genommen zu werden und besaßen damit einen eher privaten, auf die sammelnde Persönlichkeit des Königs bezogenen Charakter, so richtet sich der Obeliscus an einen größeren und anonymen Betrachterkreis. Im Zentrum dieses Kunstwerks steht August der Starke selbst. Sein meisterhaft in der Art einer antikisierenden Kamee mit Emailfarben gemaltes Portrait beherrscht den Sockel. Mit dem Kurhut Sachsens und der Krone Polen-Litauens versehen, umgeben von den militärischen Zeichen des siegreichen Herrschers und drei Orden, deren Ordensritter oder Ordensouverain er war, nimmt es den Sockel ein. Doch nicht die Bewunderung sei ner Zeitgenossen, vielmehr die der Völker der Antike wird dem Kurfürst-König zu Teil. Während vier altertümlich bekleidete Wachsoldaten auf dem in drei Stufen ansteigenden Vorplatz lagern, bestaunen Angehörige verschiedener Nationen der Antike das Monument. Neben dem regierenden Kurfürst-König feiert der Obelisk zudem verschlüsselt die 1719 vollzogene Vermählung der Erzherzogin Maria Josepha mit dem sächsischen Kur- prinzen. Auch deshalb preisen die meisterhaft geschnittenen Kameen am Obeliskenschaft in der Gegenüberstellung bedeutender Männer und Frauen der Antike symbolhaft die Tugenden des künftigen Herrscherpaares. Über den Preis für seine Verherrlichung konnten sich August der Starke und Johann Melchior Dinglinger zunächst nicht einigen. Der Kurfürst-König war nicht geneigt, die geforderten 60 000 Taler zu zahlen. Es dauerte bis ins Jahr 1728, dann musste er die vom Hofjuwelier festgesetzte Summe akzeptieren, denn im gleichen Jahr ließ der königliche Sammler das mächtige Kabinettstück als raumbeherrschendes Kunstwerk in dem in der zweiten Phase des Schatzkammerausbaus neu entstandenen Juwelenzimmer aufstellen. Obeliscus Augustalis Jaspis, Karneol, Marmor, Kelheimer Stein, Böttgerstein- zeug, Elfenbein, Edelsteine, Gemmen, Kameen, Gold, Silber, teilweise vergoldet, Email Entwurf und Goldschmiede- arbeit: Johann Melchior Dinglinger Steinschnitt: Johann Christoph Hübner Bildhauerei: Johann Gottlieb Kirchner Dresden, 1719– 1722 H. 228,0 cm, B. 122,0 cm Inv.-Nr. VIII 350 (siehe auch Detail S. 48)
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