Leseprobe
1 0 er nicht, dass ein trüber Firnis, wie ihn das Gemälde heute leider aufweist, das Bild extrem schwer lesbar macht. Rembrandt dagegen, in seiner Radierung mit dem sogenannten Faust (Abb. 5), lässt die Betrachtenden nicht nur gegen das erleuchtete Fenster schauen, sondern setzt die rätselhafte Erscheinung einer das Fenster scheinbar noch überstrahlenden Scheibe mit konzentrischen In schriften in den Fokus des Blicks. Die Bildgeometrie ebenso wie der konzentrierte Blick der Hauptfigur unter- stützen hier den Eindruck der beherrschenden Licht erscheinung, die alles andere zu überstrahlen scheint, in sehr effektiver Weise. Schaut man dagegen, wie dieser Effekt erreicht wird, so ist schnell klar, dass es die von der Scheibe ausgehenden Strahlen sind, die grafischen Linien und die hellen Zwischenräume zwischen diesen, die das Leuchten suggerieren. Es handelt sich also um einen zunächst sehr einfachen Kunstgriff. Er wird allerdings in vollendeter Weise eingesetzt, wo beispielsweise die dahin- terliegenden Formen und Helligkeitswerte, wie etwa die Kante des nach links aufgezogenen Vorhangs, hinter der Lichterscheinung noch deutlich sichtbar bleiben. Tatsächlich selbst leuchtende Bilder waren den Zeit- genossen und -genossinnen nur in zwei Formen geläufig: zum einen in der Glasmalerei, die jedoch kaum Möglich- keiten realistischer Darstellung bietet. Zum anderen gab es die vergängliche Kunst des Feuerwerks, die dementspre- chend allein von Fürsten zur Feier ihres Ruhmes eingesetzt wurde. Mit den Mitteln der Grafik versuchte man, der Ver- gänglichkeit zu entgehen, indem Berichte dieser Ereignisse ausführlich illustriert wurden, doch dies war imGrunde ein Widerspruch in sich und jedenfalls ein schwacher Ersatz für das eigentliche Erlebnis. In der Eigenschaft des Unwie- derbringlichen, das selbst erlebt werden muss, um seine Wirkung zu entfalten, sind es vielleicht die Feuerwerke von einst, die manchem Lichtkunstwerk unserer Zeit am ehes- ten verwandt sind. Weiterführende Literatur: Bohlmann/Fink/Weiss 2008 outshines the window as a source of light. The picture’s geometry, as well as the concentrated gaze of the main character, effectively heighten the impression of the dominant light phenomenon that seems to outshine everything else. If one looks at how this effect is achieved, however, it quickly becomes clear that the glowing in the picture is suggested by rays emanating from the disc, ren- dered, quite simply by graphic lines, and the bright spaces between them. At first glance, Rembrandt here avails him- self of a very simple artifice. However, he uses it in a highly sophisticated way. This is evident, for example, in the shapes and brightness values visible in the background, such as the edge of the curtain drawn to the left, which remain clearly visible behind the light phenomenon. Viewers at that time were familiar with effectively self-luminous pictures in only two forms: glass painting, which, however, had little to offer in terms of realistic representation, and the ephemeral art of fireworks, which was only used by princes to celebrate their fame. Through graphic works, artists tried to escape transience by illus- trating reports of such events in detail—an intrinsically paradoxical endeavour and a poor substitute for the real experience. Perhaps it is precisely this irretrievability, which makes itself fully felt only if experienced, that relates the fireworks of yore to today’s practices of light art. Further reading: Bohlmann / Fink / Weiss 2008 Translated from German by Christoph Nöthlings
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