Leseprobe
12 3. Die Anfänge der Marienkirche im historischen Kontext 3.1 Brandenburg im 12. Jahrhundert und die Gründung der Marienkirche Die Bistümer Brandenburg und Havelberg waren bereits von König Otto I. (reg. 936‒973) im 10. Jahrhundert (948 oder 965) gegründet worden, doch mussten sich die Bischöfe nach dem slawischen Aufstand 983 in das 968 gegründete Erzbistum Magdeburg ins Exil zurück- ziehen. Die Bischofsreihe wurde dennoch weiterhin fort- geführt. Erst im 12. Jahrhundert (endgültig 1157) erober- ten die Askanier unter der Führung Albrechts des Bären (1157– 1170 Markgraf von Brandenburg) Brandenburg zurück. Die Bischöfe konnten daraufhin langsam zu ihren alten Standorten zurückkehren. Provisorische Zwi- schenstationen auf diesemWeg waren die Stifte Jerichow, für das Havelberger Domkapitel, und Leitzkau, für das Brandenburger Domkapitel.24 In beiden Orten siedelten sich an den bereits bestehenden Kirchen Prämonstraten- serkonvente an. Vermutlich kurz nach dem Wenden kreuzzug 1147 ließ sich ein Teil der Chorherren aus Leitz- kau bei der Kirche St. Gotthardt in Brandenburg nie- der.25 1161 erhob Bischof Wilmar (reg. ca. 1161‒1173) dieses Stift zum Domkapitel von Brandenburg, das mit einem eigenen, vom Bischof abgezweigten Vermögen ausgestattet war.26 Erst 1165 kam es zur Grundstein legung des Brandenburger Doms und zur Umsiedelung des Domstifts auf die Dominsel. Zur Gründung des Stifts und zumNeubau des Havelberger Doms, der Maria und den Heiligen Laurentius und Constantius geweiht war, kam es zwischen 1150 und 1170.27 Die Prämonstra- tenser gehörten zu den ersten Orden, die sich in der Mark Brandenburg im 12. Jahrhundert verbreiteten. Die Regularkanoniker lebten nach der Ordensregel des Kir- chenvaters Augustinus und orientierten sich an den Ge- wohnheiten der Cluniazenser sowie der »Charta Caritas« der Zisterzienser.28 Initiator des Ordens war der Wander- prediger Norbert von Xanten (etwa 1084‒1134), der 1120 in dem Ort Prémontré bei Laon, der dem Orden seinen Namen gab, das erste Stift gründete.29 Die Prä- monstratenser lebten nicht wie die Mönchsorden zu- rückgezogen, sondern in Konventen innerhalb der Städte und waren besonders in adligen Kreisen beliebt. Nach Vorbild der Apostel nahmen die Missionierung und Seel- sorge eine besondere Stellung bei ihnen ein.30 1126 wurde Norbert zum Erzbischof von Magdeburg ernannt, wo er nicht am Dom, sondern bei der Liebfrauenkirche ein Prämonstratenserstift einrichtete, das zumMutterkloster der nachfolgenden Stifte in Sachsen und der Mark Bran- denburg wurde.31 Dieser Magdeburger Zweig war gegen- über dem von Prémontré verhältnismäßig eigenständig 24 Siehe u. a. Schössler/Gahlbeck/Kurze [u. a.] 2007, S. 230 f.; Cante 2009, S. 283; Bergstedt (A) 2009, S. 352, 355. 25 Es werden neun Kanoniker genannt. Vielleicht kamen aber noch Prämonstratenser aus Magdeburg hinzu. Üblich waren zwölf Kleriker und zwölf Laienbrüder. Siehe Dannenberg 1912, S. 17. Ob es an dem Ort bereits vorher eine Kirche gegeben hat oder ob diese erst für das Stift gebaut wurde, ist umstritten. Aufgrund der angelegten Doppel- turmfassade im Westen, ein Merkmal, das vorwiegend Kathedralen und Stiftskirchen vorbehalten war, plädiert Kahl dafür, dass die Kir- che in dieser Zeit neu errichtet wurde. Ein Vorgängerbau ist jedoch nicht ausgeschlossen. Siehe Kahl 1964, S. 251 f. 26 Siehe Schössler 2011, S. 12; dazu auch ausführlich: Kurze, Dietrich, Bischof Wilmar und die Gründung des Domkapitels 1161, in: Domstift Brandenburg (Hg.), 850 Jahre Domkapitel Brandenburg (= Schriften des Domstifts Brandenburg, Bd. 5), Regensburg 2011, S. 29‒39. 27 Siehe u. a. Bergstedt/Popp/Badstübner [u. a.] 2007, S. 573 f.; Dehio 2002, S. 376. 28 Siehe Heijman 1928, S. 24, 45. 29 Siehe Richter 2005, S. 29 f. In der Anfangszeit leitete Norbert von Xanten alle nachfolgenden Stifte. Zu einer ersten schriftlichen Fixierung der Regeln kam es erst um 1130. Siehe Heijman 1928, S. 108. 30 Siehe Heijman 1928, S. 111 f. Im Gegensatz zu der Benedictus- Regel, auf die sich die Zisterzienser und Cluniazenser beriefen, verbot die Augustinus-Regel seelsorgerische Tätigkeiten nicht. Siehe ebda., S. 113. 31 Zu diesen sogenannten Zirkarien zählten: Gottesgnade, Leitzkau, Brandenburg, Havelberg, Ratzeburg, Jerichow, Kölbigk, Klosterrode, Quedlinburg (St.Wiperti), Mildenfurth, Pöhlde, Gramzow, Theme nitz. Siehe Richter 2005, S. 33.
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