Leseprobe
22 4. Beschreibung Neben den erwähnten, in den darauffolgenden Jahrhun- derten mehrfach kopierten Zeichnungen des Grundris- ses, der Südansicht und des Aufrisses89 sind noch weitere bildliche Quellen überliefert. Anzumerken ist jedoch, dass die Wiedergabe der Fassadengestaltung der Kirche teils sehr ungenau ist und die Bilder untereinander – teils stark – divergieren. Auf diese Unterschiede soll bei der anschließenden Beschreibung aufmerksam gemacht wer- den. Der Anspruch auf Genauigkeit wird bei Vignoles Ansichten wohl am höchsten gewesen sein, da es hier direkt um das Andenken der Kirche auf dem Papier ging, während auf anderen Gemälden die Kirche vielmehr als schmückendes Hintergrundmotiv fungierte. Zu berück- sichtigen ist allerdings, dass das Gebäude im 18. Jahr- hundert schon stark beschädigt war, da es im Zuge der Reformation, seit Mitte des 16. Jahrhunderts, nicht mehr genutzt wurde. Bis zum endgültigen Abriss der Kirche vergingen folglich weit mehr als 170 Jahre, während derer die Kirche geplündert und als Steinbruch genutzt wurde.90 Bei den Abbildungen des 18. Jahrhunderts feh- len deshalb schon die Dächer. Das älteste Bild ist am Ende des dritten Buches von Gar- caeus’ Manuskript »Successiones Familiarum« (1582) an- gefügt (Abb. 1, 6).91 Das 27,5 × 18,5 cm große Aquarell zeigt den Blick auf die Altstadt Brandenburg vom Turm der Gotthardtkirche aus. Hinter Fachwerkhäusern, dem Rathenower Tor und einem Stadtmauerturm thront die Marienkirche auf dem Berg. Sie ist umgeben von einer Mauer und drei kleinen Nebengebäuden. Es dürfte sich um die, perspektivisch etwas verzerrte, Ostfassade han- deln. Im Gegensatz zu den Gebäuden im Vordergrund, die ein sehr exaktes Bild der damaligen Situation wieder- geben,92 macht es den Eindruck, als habe der Maler bei der Fassadengestaltung der Marienkirche keinen Wert auf eine detailgetreue Aufnahme der Formen gelegt. Zu- mindest weicht sie stark von der anderer Darstellungen ab.93 Es fehlen beispielsweise die drei Apsidiolen im Os- ten. Da es das einzige Bild imManuskript ist, wird deut- lich, welche Bedeutung der Kirche noch im 16. Jahrhun- dert, als Wahrzeichen der Stadt, beigemessen wurde. In der Kirche St. Gotthardt in Brandenburg hängt heute noch an einem Pfeiler ein Epitaph für die Mitglieder der angesehenen Familie Trebaw von 1586, auf dem auch die Marienkirche dargestellt ist (Abb. 7).94 Friedrich Adler fertigte eine detailgetreue Zeichnung dieser Ansicht an, die er in seinem Werk »Mittelalterliche Backstein-Bau- werke des preußischen Staates« publizierte (Abb. 8).95 Im Vordergrund des Epitaphs kniet das Ehepaar Trebaw zu- sammen mit seinen zwei Kindern zu Seiten des gekreu- zigten Christus, zu dessen Füßen Maria Magdalena das Kreuz umschlingt. Im Hintergrund erkennt man die St. Gotthardtkirche, den Rathenower Torturm sowie die Marienkirche. Sie ist umgeben von einer Mauer sowie imOsten von teilweise ruinösen Gebäuden. ImVergleich zu den übrigen bildlichen Quellen sind große Unter- schiede zu bemerken. Da es sich nur um eine Hinter- grunddarstellung handelt und die Fassadengliederung auf anderen Darstellungen keine Wiederholung findet, wird es sich auch hierbei um eine etwas freiere Interpre- tation der Formen handeln. Im Stadtmuseum Brandenburg im Frey-Haus befinden sich darüber hinaus drei Stadtansichten, auf denen die Marienkirche noch auf dem Berg zu sehen ist: ein Kup- ferstich von Jean Baptiste Broebes (vor 1720, Abb. 9), ein Abb. 6: Marienkirche, Ausschnitt aus der Ansicht des Nordwest- teils der Altstadt Brandenburg von 1582 (siehe Abb. 1). 89 Die Kopien befinden sich u. a. im Stadtmuseum im Frey-Haus in Brandenburg an der Havel und im Stadtmuseum Berlin. Auch Schin- kel hat wohl Kopien dieser Ansichten angefertigt, die sich in der Mappe XVII des ehemaligen Schinkelmuseums befinden sollen. Siehe Badstübner 2002, S. 28. 90 Siehe Seebacher/Gahlbeck/Müller 2007, S. 312 f. 91 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschrif- tenabteilung, MS Boruss quart 510. Nach Tschirch (1896, S. 92) war dieses Bild wohl als Kopie noch in weiteren Abschriften inte griert. 92 Für diesen Hinweis danke ich Marcus Cante. 93 Müller (2015, S. 209) hält die Darstellung dagegen für »sehr zuverlässig«. Zu dem Urteil kommt er möglicherweise aufgrund der sonst so großen Detailtreue der Ansicht. 94 Siehe Strohmaier-Wiederanders 22012, S. 15. 95 Adler 1862, Tafeln, Blatt I, Abb. I.
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