Leseprobe
41 5. Stilistische und bautypologische Einordnung 5.1 Stilistische Einordnung Die Marienkirche ist ein Bauwerk, das an der Grenze zweier Bautraditionen steht: Während die Türme, die Fassadengliederung oder die Rundbogenfenster noch romanisch anmuten, beginnen sich im Inneren, in goti- scher Manier, die Wände aufzulösen, und die horizontale Betonung der einzelnen Geschosse wird zugunsten der vertikalen Betonung vermindert; die unverkröpften Pfei- ler ragen empor und münden in die Kreuzrippenge- wölbe, eine Technik, die im 13. Jahrhundert in Frank- reich zur Perfektion getrieben wurde. Wenn die Kirche tatsächlich von Anfang an kreuzrippengewölbt war, würde sie zu den ersten kreuzrippengewölbten Kirchen in der Mark Brandenburg zählen.169 Der Raumeindruck muss, für damalige Verhältnisse, sehr erhaben gewesen sein. Herausgefordert wurden die Prämonstratenser sicherlich von der etwas früher errichteten Zisterzienser- klosterkirche in Lehnin, die nach 1210 ihr Kreuzrippen- gewölbe erhielt und mit einer Deckenhöhe von 17,80 m in der Vierung die gleiche Höhe erreichte wie die Ma- rienkirche.170 Ein konkretes Vorbild konnte bisher für die Marienkirche nicht gefunden werden. Auch für ein- zelne Elemente wie Türme, Wandaufriss, östlichen Ab- schluss, Grundriss oder Bauschmuck stellt es sich als schwierig heraus, eindeutige Parallelen zu anderen Bau- werken oder speziell zu einer Region zu finden. Das mag unter anderem daran liegen, dass mit Backsteinen ganz andere Lösungen, beispielsweise hinsichtlich der Fassa- dengestaltung, gefunden werden mussten. Erst seit Ende des 12. Jahrhunderts verbreitete sich die Technik auch im nordalpinen Raum, wie in Gebieten östlich der Elbe so- wie in Dänemark, Nordwestdeutschland, Thüringen und Sachsen.171 Wenn es auch keine eindeutigen Vor- bilder gab, so kann dennoch gezeigt werden, dass ähn- liche Gestaltungsweisen durchaus bei anderen Kirchen- bauten zu finden sind, es ist nur nicht immer klar, auf welchem Weg sie nach Brandenburg gelangten, wie bei der folgenden Untersuchung des Grundrisses der Ma rienkirche deutlich wird. Dieser ähnelt der Form eines Vierpasses. Auch wenn Zahlensymboliken für die Entstehung von Bauten nicht überinterpretiert werden dürfen und die vorliegende Arbeit diesem komplexen Themenfeld nicht weiter nach- Abb. 28: Kreuzfuß in Form eines Zentralbaus, drittes Viertel 12. Jh., Niedersachsen (Hildesheim?), Bronze, vergoldet, 17,7×9,1 ×8,6 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemu- seum, Inv.-Nr. 1897,4, © Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Hans-Joachim Bartsch. 169 Siehe Eichholz 1912, S. LXVI, S. 134. Man bedenke, dass der Dom in Brandenburg erst Mitte des 15. Jahrhunderts vollständig ge- wölbt wurde. Siehe Cante 1994, S. 52. Dazu jüngst ausführlich Schumann 2015, insbesondere S. 186‒197. 170 Siehe Buchinger/Cante 2009, S. 326. Die Angabe der Höhe ist einem in der Kirche befindlichen Plan entnommen, in dem die genauen Maße der Kirche sowie auch der Joche und Pfeiler festgehal- ten sind. 171 Vgl. Nussbaum 21994, S. 102 f.
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