Leseprobe
67 7. Zur Frage nach der Baumotivation und Nutzung der Kirche 7.1 Überlegungen zum »doppelstöckigen Kult« der Prämonstratenser In diesem Kapitel soll der These von Georg Scheja nach- gegangen werden, der zwar wie viele andere Autoren an- nimmt, dass das Gebäude als Wallfahrtskirche genutzt wurde, die Architektur, speziell die östliche Emporen- zone, aber auf die Ordensgewohnheiten der Prämons tratenser zurückführt. Scheja beschäftigte sich bisher am ausführlichsten mit der Architektur der Marienkirche, der er in seiner Monografie »Die romanische Baukunst in der Mark Brandenburg« ein eigenes Kapitel wid- mete.289 Zu bemerken ist aber, dass er in einer stark ent- wicklungsgeschichtlichen Perspektive jedes Gebäude als eine logische Konsequenz und Verbesserung des jeweils älteren Baus betrachtet. Da er kaum Literatur- und Quellenangaben anführt, sind seine Thesen teilweise kaum verständlich und oft nicht nachvollziehbar. Wie bereits angedeutet, begründet Scheja die Wahl der östlichen Empore mit einem sich angeblich entwickeln- den doppelstöckigen Kult der Prämonstratenser. Diese Annahme begründet er mit der Bauform der zuvor er- richteten Prämonstratenserkirchen Liebfrauen in Magde burg, St. Marien in Leitzkau, St. Nikolaus und St. Maria in Jerichow (Abb. 64) sowie dem Dom St. Peter und Paul in Brandenburg (Abb. 65). Bezeichnenderweise wurden in einigen dieser Kirchen nachträglich Hochchöre ein- gebaut, deren Funktion bisher nicht eindeutig geklärt werden konnte. Scheja vertritt die These, dass sich mit diesen Einbauten eine Hinwendung der Prämonstraten- ser zum Volk bemerkbar mache. Bei dem Orden nehme die Seelsorge den größten Aufgabenbereich der Priester ein, sodass der gesamte Kirchenraum dieser Aufgabe an- gepasst werden musste.290 Dabei beruft er sich unter anderem auf das 1488 gedruckte »Breviarium diocesis Brandenburgensis«, dem zu entnehmen sei, dass es im Dom zu Brandenburg an der Westseite des Hochchores auf der Kryptenbrüstung zwei Ambonen gegeben habe, von denen aus das Evangelium vorgelesen wurde und die Priester während der Chorliturgie zum Volk gewandt sangen. Zudem werde in diesem Breviarium von einem Kruzifix im Chor berichtet, für dessen Verehrung im Jahr 1357 Ablässe vergeben wurden, womit belegt sei, dass der Chor den Laien außerhalb der Chordienstzeiten für die Verehrung des Kruzifixes offen gestanden habe.291 Zunächst ist festzuhalten, dass das Breviarium erst aus dem 15. Jahrhundert stammt und die Gewohnheiten des- wegen nicht ohne weiteres auf das 12. und 13. Jahrhun- dert übertragen werden können.292 Außerdem ist ein Zusammenhang zwischen einer Öffnung zum Volk hin und dem Einbau eines Hochchores nicht unbedingt plausibel. Eichholz verweist zurecht auf eine genau ent- gegengesetzte Auswirkung, nämlich die stärkere Tren- nung der Domherren von den Laien.293 Dieser Ansicht ist auch Peter Ramm, der in seinem Aufsatz zur Stifts- kirche in Jerichow bemerkt, dass der Laienraum durch den Einbau der Krypta eingeengt worden sei.294 Selbst wenn im 14. Jahrhundert auch der Chor für Laien – zu- mindest zeitweilig – zur Verehrung des Kreuzes zugäng- lich war, kann daraus nicht geschlossen werden, dass 289 Scheja, Georg, Die romanische Baukunst in der Mark Branden- burg, Gütersloh 1939, hier S. 56‒69. 290 Siehe Scheja 1939, S. 91‒96. 291 Siehe ebda., S. 95. Siehe dazu auch Eichholz 1912, S. 227. 292 Darauf weist auch Untermann (1984, S. 551 f., Anm. 1488) hin, der Schejas These nicht für plausibel hält. 293 Siehe Eichholz 1912, S. 226. Zudem wurde Ende des 13. Jahr- hunderts (oder im frühem 14. Jahrhundert?) vor der Krypta noch ein Lettner errichtet, der die Trennung zwischen Chor und Langhaus zusätzlich verstärkte. Vgl. Dehio 2012, S. 116. Ähnliche Tendenzen zeigen Kirchen der Bettelorden, in denen oft nachträglich Lettner eingebaut wurden, damit die Brüder in Ruhe ihren Chorgebeten nachgehen konnte. Erhalten sind diese beispielsweise in Angermünde und Salzwedel. Vgl. ebda., S. 24. 294 Siehe Ramm 1984, S. 150.
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