Leseprobe

34 Schwarz auf weiß präsentieren sich Druckbuchstaben überall in der modernen Literatur, ohne dass damit eigene poetologische Implikationen verbunden wären. Umso bemer- kenswerter ist es jedoch, dass Mallarmé mit dem kalkulierten Einsatz dieser beiden (Nicht-)Farben gleichermaßen innerhalb der poetischen Fiktion und in ihrer materiellen Gestalt eine Reflexion auf das Ganze der Darstellung verbindet. Dennwie die beiden Rah- men-Gedichte zu seiner Sammlung von Gedichten, die unter dem schlichten und globa- len Titel Poésies/Dichtungen erscheinen sollte, zeigen, ist das Verfassen von Versen als Evo- kation poetischer Welten und Schreiben mit Tinte, in Blau oder Schwarz auf Weiß, zu- gleich existentiell, allumfassend und nahe am Nichts, dem Untergang und der Aus- löschung. Mit feiner Ironie zitieren nicht nur diese beiden programmatischen Gedichte aber auch Versatzstücke der literarischen Ästhetik und Poetik des europäischen 19. Jahr- hunderts und ihrer antiken Quellen, zumal dort, wo die »Daseinsmetapher« schlechthin, der Schiffbruch, die Chiffre poetischer Existenz bildet. 1 Eine dichte Lektüre der beiden Gedichte und ihrer Implikationen vermag so einen ersten Eindruck von der Komplexität einer solchen Reflexion auf die Bandbreite poetischer Mittel, Medien und Materialien zu geben – und einige der im Folgenden entfalteten Bilder, Motive und Themen werden in anderen Kontexten, teils unerwartet, teils nahezu unvermeidlich, wiederkehren. 2 . 1 Die Poesie in Schwarz-Weiß Salut/Gruß 1 Hans Blumenberg: Schiffbruchmit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a.M. 1979. 2 Unter seinemersten Titel erschien das Gedicht am 15.2.1893 auf der Titelseite der Zeitschrift La plume / Die Feder , die das Bankett als siebtes einer Serie ausgerichtet hatte, Stéphane Mallarmé: Toast, in: La plume 92 (1893), S. 67. In der Buchausgabe seiner Gedichte, die erst ein Jahr nach Mallarmés Tod 1899 veröffentlicht wurde, eröffnet es nach demWillen des Autors unter demTitel Salut kursiv gesetzt nach Art eines Mottos als erstes Gedicht den Band, StéphaneMallarmé: Salut, in: Les Poésies de S. Mallarmé. Frontispice de F. Rops, Brüssel 1899, S. 9. Die bis heute kanonische Übersetzung Carl Fischers gibt den Gedichttitel, notgedrungen vereindeutigend, mit »Gruß« wieder; damals wie heute ist das Wort als einfache, alltägliche Grußformel imGebrauch. StéphaneMallarmé: Salut/Gruß, in: Sämtliche Dichtun- gen. Französisch und deutsch. Mit einer Auswahl poetologischer Schriften, Übersetzung der Dichtungen von Carl Fischer, München 1995, S. 8 – 9.  3  Für diesen performativen Akt des Gedichts intereressiert sich Marian Zwerling Sugano im Rahmen der Überlegungen zu Toast funèbre besonders: »Here the act is identical not only with its utterance but also with the utterer: the ›salut‹ is at once the enunciation, themessage itself and themessenger.«Marian Zwerling Sugano: The Poetics of the Occasion: Mallarmé and the Poetry of Circumstance, Stanford 1992, S. 46.  4 Dieses »Nichts« am Beginn des Gedichts und der geplanten Buchausgabe der GedichteMallarmés hat selbstredend eine Fülle von Deutungen erfah-

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