Leseprobe
35 Dabei nimmt unter den kunstvoll verrätselten SonettenMallarmés das zunächst Toast , dann Salut überschriebene Gedicht von 1893 eine Sonderstellung ein, nicht nur, weil es von Beginn an zu erkennen gibt, dass es auf mindestens drei Weisen angesehen, gelesen und gehört sein will. Entsprechend bietet sich ein Dreischritt der Betrachtung an, der vom fest- lichen Tisch über das Meer zurück zu den Steinen führen soll und das kunstvoll kompo- nierte Gelegenheitsgedicht auch als virtuoses Beispiel sprachlicher Verdichtung in der mo- dernen Lyrik entfalten wird. 2 Mit seinen wechselnden Titeln zitiert das Sonett eine mehr- sprachige Form des hochgestimmten Ausrufs, der zugleich Begrüßung, Eröffnung eines Banketts undAufforderung zumgemeinsamen Trinken ist, undwenn imersten Terzett von einer »ivresse belle«, einem »schönen Rausch«, die Rede sein wird, so hat das Gedicht offen- bar seine performative Aufgabe schon erfüllt. 3 »Salut« wäre aber auch mit »Rettung« oder »Heil« zu übersetzen, womit schon angezeigt ist, dass es noch ein anderes Wohlsein als das des Gläseranstoßens implizieren mag – umso mehr, als ausgerechnet das erste Wort des ersten Verses: »Rien« lautet, »Nichts«. 4 Wie sich zeigen wird, ist das Meer als Ort der Verhei- ßung und der Gefahr stets gleichermaßen evoziert, und mit Blick auf die historische Rah- mung des Gedichts wird als dessen drittes Element das Schreiben selbst und – metony- misch – die Dichtung erkennbar, als Abenteuer, Kunst und Transzendenz in Schwarz-Weiß. Bei Tisch, auf See, unter Wasser. Schreiben und zur See fahren in »Salut« Mallarmé hat das Sonett am 9. Februar 1893 als Vorsitzender eines Banketts der literari- schen Zeitschrift La plume/Die Feder vor einer Versammlung von jüngeren Schriftstellern vorgetragen und die erste Veröffentlichung des Gedichts, eine knappe Woche später in eben dieser Zeitschrift, war ergänzt durch einen Bericht von diesem festlichen Treffen, das Gedicht somit immer schon als ein vormals adressierter und historisch eindeutig indi zierter Sprechtext eingeführt. 5 Man wird sich so den Meister , als denMallarmé seine Tisch ren; besonders wirkmächtig ist Jean-Paul Sartres Interpretation dieses Auftakts als Selbstmord und Vernichtung vonMensch und Poesie, vgl. Jean-Paul Sartre: Mallarmé, 1842 – 1898. Préface, in: Stephane Mallarmé, Poésies. Choix de vers de circonstance, Poèmes d’enfance et de jeunesse, Paris 1966, S. 5 – 15. 5 Roger Pearson sieht interessanterweise die Wahl der Sonettform zudem als Ergebnis von Mallarmés Anstrengungen, Texte für das Theater zu verfassen: »If poetry was to be a form of armchair theatre, then the principal and almost exlusive stage which Mallarmé chose for his intimate galas was, of course, the sonnet: until 1887 in its Petrarchan form, but after that predominantly in its Shakespearan form.« Roger Pearson: Mallarmé and Circumstance. The Translation of Silence, Oxford 2004, S. 144. Mit insgesamt 53 Sonetten ist Mallarmé »the greatest sonneteer in the French Language«, ebd., S. 146, Anm. 6. Bereits als 17jähriger hatte der Schüler und angehende Dichter eine Sammlung von Gedichten unter dem Titel Entre quatre murs / Zwischen vier Wänden verfasst, die vier petrarkistische Sonette enthielt, zudem zwei selbstreferentielle und, in Vorwegnahme seiner späteren Vers de circonstance / Verse unter Umständen eines, das ein Geschenk begleiten sollte, vgl. ebd., S. 146. Jacques Rancière betont gleichfalls den Charakter eines »freundschaftlichen Gelegenheits-Trinkspruchs«, den er sogar, etwas paradox, »formlos« und »umweglos« nennt, Jacques Rancière: Mallarmé. Politik der Sirene, dt.v. Richard Steurer, Zürich 2012, S. 24, S. 23.
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