Leseprobe

80 Stéphane Mallarmés lyrische Bildsprache ist, wie die vorgehenden Kapitel angedeutet haben, auch im symbolistischen Zeitalter ein außerordentliches Ereignis: Wie von selbst verwandeln sich in seinen hermetischen Gedichten apostrophierte Gegenstände, Formen, Farben und Landschaften in komplexe Gebilde aus einander aufrufenden Zeichen, deren Bedeutung mehr erahnt als entschlüsselt werden kann. Homonyme wie »cygne« und »signe« – Schwan und Zeichen – nehmen solche stillenMetamorphosen vorweg, farbliche Gleichklänge suggerierenAnalogien und Korrespondenzen zumal dort, wo das reineWeiß von Schwanenfeder, Gischt, Sternenglanz oder Gletscher beschworen wird. 1 Die Nicht- Farbe ist zugleich Grund aller anderen Farben und ein Medium von durchsichtiger Mate- rialität, steht aber auch metonymisch für das Papier ein, das seinerseits buchstäblich und metaphorisch zumGegenstand des Schreibens wird. Diese Arbeit amMaterial möchte ich im Folgenden an drei Beispielen beleuchten, in denen jeweils eine bestimmte Form des Sprechens in Bildern mit den Mitteln von Tinte und Papier ins Werk gesetzt ist. Sie sind einer Gruppe beschriebener Fächer entnommen, einer imNachlass erhaltenen Sammlung von kleinen Karten und Umschlägenmit Vierzeilern und schließlich einer Reihe von Blät- ternmit Signaturen in unterschiedlichen Formaten. Gemeinsam ist diesen Papierobjekten ihr scheinbar beliebig gewähltes Material, das jeweils der Bearbeitung einigenWiderstand entgegensetzt; sie alle demonstrieren daher zugleich Beiläufigkeit und Virtuosität. Die Spuren der schreibenden und zeichnenden Hand fügen sich dabei zu ganz eigentümlichen Schriftbildern, in denen buchstäbliches und metaphorisches Sprechen systematisch ver- bunden ist, um immer wieder auf das Material solcher Gebilde zurückzuverweisen. 1 Entsprechend setzt Paul Hoffmann zu Recht die Analyse des titellosen Gedichts »Le vierge, le vivace et le bel aujord’hui« über einen im Eis festgefrorenen Schwan als Exempel für diese Kunst Mallarmés, vgl. Paul Hoffmann: Symbolismus, München 1987, S. 163.  2 Stéphane Mallarmé: Lettres à Méry Laurent, hg. von Bertrand Marchal, Paris 1996, S. 40.  3  [Anonym]: Méry Laurent en kimono et tenant un éventail, Benque et Cie, in: Françoise Bayle (Hg.): Méry Laurent, Manet, Mallarmé et les autres, Ausst.-Kat. Nancy, Musée des Beaux-Arts, Versailles 2005, S. 51, Nr. 23.  4 Marguerite de Ponty [d. i. Stéphane Mallarmé]: La mode, in: La Dernière Mode, 1874, H. 1, wieder abgedruckt in Yves Peyré (Hg.): Stéphane Mallarmé 1842 – 1898. Un destin d’écriture, Ausst.-Kat. Paris, Musée d’Orsay, Paris 1998, S. 173, Kat.-Nr. 149.  5 Vgl. Georg Buß: Der Fächer, Bielefeld, Leipzig 1904.  6 Um 1900 sind diese Handbewegungen offenbar lexikalisiert, 3.1 Miniaturen und Monogramme

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