Leseprobe

81 In einem frühen Gedicht über seine langjährige FreundinMéry Laurent hat Mallarmé für ihren Zauber ein eigentümliches Bild gefunden: Sie sei »comme un éventail seul dont la chambre s’étonne« /»wie ein einzigartiger Fächer, über den ein ganzer Raum staunt«. 2 Womöglich handelt es sich bei diesem Einfall um eine Art umgekehrte Synekdoche, die als Sonderfall der Metonymie das Verhältnis reiner Teilhabe meint. Buchstäblich zusam- men-denken – syn-ek-doche –muss manMéry und den Fächer, weil Fächer selbst quasi Teile ihres Körpers sind: Eine undatierte Fotografie zeigt sie im japanischen Gewandmit einem Fächer in ihrem leuchtenden Haar (das Mallarmé mehrfach bedichtet hat), während sie den zweiten locker in der Hand hält (Abb. 4). 3 Beide Exemplare sind offenbar solch typische Faltfächer aus Papier, die, mit demAuf- kommen der Japanmode in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts millionenfach produziert, in Frankreich bald zum wichtigsten Accessoire der Dame wurden. Im ersten Heft seines neu gegründetenModejournals La dernière mode / Die neueste Mode schreibt Mal- larmé bereits 1874 unter dem weiblichen Pseudonym Marguerite de Ponty, eine Dame dürfe niemals den nach Tageszeit und Anlass je unterschiedlich gefärbten und gemuster- ten Fächer vergessen, denn dieser zeige, ob reich geschmückt oder einfach, zuallererst den idealen Wert einer Malerei. 4 Mit der Wiederentdeckung dieses alten Accessoires und Gebrauchsgegenstands geht aber auch die Erinnerung an die galanten Praktiken früherer Zeitalter einher, wie die Fächer­ kunst des Barock und des Rokoko; und in den Pariser Salons der 1880er Jahre lebt dann wieder auf, was als ehemals höfische Zeichensprache der Liebe über Jahrhunderte mehr oder weniger ernsthaft entwickelt wurde. 5 Diese Fächersprache soll sicherstellen, dass zwei Dialogpartner sichmit zugleich sichtbaren und verborgenenZeichen verständigen können. Es spricht hier nicht der Fächer, sondern die Hand, die ihn hebt, dreht, auf und zu faltet, komplett zusammenklappt und neigt, unterstützt von Blicken und anderen mimischen Zeichen, die gleichermaßen der heimlichen Zuwendung wie der öffentlichen Tarnung die- nenmüssen. 6 Als »Ballett der Hände« kommt die virtuose Handhabung des Fächers zudem demTanz sehr nahe, den Mallarmé wiederum in seinen spätesten Texten als eine Serie von Faltungen beschrieben hat. 7 Doch auch außerhalb der Salons ist der Fächer allgegenwärtig. So beschreibt Mallarmé in einemText über die Jahreszeiten des Lesens, wie Leserinnen am Strand das Buch als Fächer benutzen, während umgekehrt die glücklichenNicht-Leserinnen den »anderen und lebendigeren Papier-Flügel nutzen können: unendlich und begrenzt in zumindest so weit popularisiert, dass sie beispielsweise auf einer Postkarte von 1901 unter dem Titel Correspondance aérienne in einer offenbar standardisierten Form gezeigt werden, vgl. Anne Ferrette: L’éventail dans la presse de la seconde moitié du XIX e siècle à 1905, in: Philippe Rollet (Hg.): Rien qu’un battement aux cieux. L’éventail dans le monde de Stéphane Mallarmé, Ausst.-Kat. Vulaines-sur-Seine, Musée Départemental Stéphane Mallarmé, Montreuil-sous-Bois 2009, S. 8 –25, hier S. 8, 11.  7  In den einander ablösenden Bildern, die der Tanz Loïe Fullers evoziert, sieht Mallarmé etwa das buchstäblich stoffliche Einfalten der Flügel eines Vogels oder Schmetterlings, vgl. etwa: »Or cette transition de sono- rités aux tissus [...] est, uniquement, le sortilège qu’opéra la Loïe Fuller, par instinct, avec l’exagération, les retraits, de jupe ou d’aile, instituant un lieu. L’enchanteresse fait l’ambiance, la tire de soi et l’y rentre,

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