Leseprobe
82 seiner Entfaltung«/»cette autre aile de papier plus vive: infiniment et sommaire en son dé- ploiement«. 8 Zudem ähnelt der Fächer mit seinen gefalteten Seiten bereits vor seiner Be- schriftung dem Buch und lässt, wie Bertrand Marchal bemerkt hat, im Rhythmus der fä- chelnden Hand und ihrer Schläge beim Zuklappen eine Art wortloses Gedicht erklingen. 9 Während der Fächer als Accessoire, Werkzeug und Medium für gewöhnlich in der Hand der Dame liegt, wird unter Mallarmés Händen der vieldeutige Gegenstand wieder zum bloßen Material, zum Schreibpapier. Bereits die japanische Fächerkultur hat hand- beschriebene Fächer hervorgebracht, bei denen auf farbig bedrucktem Papier Bilder und Schriftzeichen nebeneinanderstehen, »mit irgendeiner weisen Sentenz, einem kurzen buddhistischen Text oder [...] den Versen eines gefeierten Dichters beschrieben«. 10 Diese bunten Fächer sind allerdings für gewöhnlich den Frauen vorbehalten, »während die Her- renmeist die weißen Fächer vorziehen«. 11 Bis zumEnde des 19. Jahrhunderts mehren sich auch in Frankreich die Fächer-Autographen. Sie verlängern einerseits galante Praktiken der Kommunikation, wenn beispielsweise bei Soirées und Bällen die Reihe der Tanzherren mit einem Kompliment und einer eigenhändigen Unterschrift den Fächer zum Souvenir festlicher Augenblicke macht. Andererseits können sie, wie auch im Freundeskreis Mal- larmés üblich, dezidiert zum Kunstwerk und kostbaren Sammlungsgegenstand umge- widmet werden, indem bildende Künstler und Schriftsteller dort exklusive Proben ihrer Kunst gewissermaßen aus dem Handgelenk ablegen. Mallarmés Umgang mit solchen Fächern schließt an diese geselligen und künstleri- schen Praktiken an und überbietet sie zugleich. 12 So enthält die Sektion Éventails der posthum veröffentlichten Sammlung der Vers de circonstance / Verse unter Umständen oder Gelegenheitsverse allein siebzehn quatrains /Vierzeiler; 13 neben diesem typischen Format gibt par un silence palpité de crêpe de chine.«/»Dieser Übergang nun von Klingendem zu Gewebtem [...] ist einzig der Zauber, den die Loïe Fuller bewirkt, indem sie instinktiv, mit Übertreibung, dem Einraffen des Rocks oder Flügels einen Ort errichtet. Sie zaubert die Umgebung herbei, zieht sie aus sich hervor und staut sie in sich zurück, mit einemKnisterschweigen von Chinakrepp.« StéphaneMallarmé: Autre étude de danse. Les fonds dans le ballett/Noch eine Tanzstudie. Die Hintergründe im Ballett, in: Kritische Schriften, S. 180 – 185, hier S. 183, 182. 8 Stéphane Mallarmé: Quant au livre: Étalages/Das Buch betref- fend: Auslagen, in: Kritische Schriften. Französisch und deutsch, hg.v. Gerhard Goebel, Gerlingen 1998, S. 242 –253, hier S. 245, 244. 9 Bertrand Marchal: Éventails, »Éventails«, in: Rollet (Hg.): Rien qu’un bat- tement aux cieux, S. 26 – 34, hier S. 31. 10 Buß: Der Fächer, S. 42. 11 Ebd. 12 So lässt sich beispielsweise im Kontext einer symbolistischen Poetik der Fächer als »poetologische Figur der Bewegung« lesen; im Gedicht Éventail wird dann entsprechend »der Konstitutionsprozess des lyrischen Verses Gegenstand«. Angelika Jacobs: Fächer und Wind. Hofmannsthals lyrischer Symbolismus im Vergleich mit Mallarmé. Vortrag bei der 17. Internationalen Tagung der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft in der Evangelischen Akademie Tutzing, 19.– 22.9.2011, S. 5 –7. 13 StéphaneMallarmé: Éventails, in: Vers de circonstance, Paris 1920, S. 41 – 45. 14 Mallarmé: Quant au livre: Étalages/Das Buch betreffend: Auslagen, S. 245, 244. 15 Marchal: Eventails, »Eventails«, S. 31. 16 Diese Fächergedichte haben in der Mallarmé-Forschung wie in der neueren Literaturtheorie einige Aufmerksamkeit erfahren, die allerdings meist weniger ihrer ma- terialen Gestalt als ihrer verdichteten Symbolsprache und deren poetologischen Implikationen gilt, vgl. beispielsweise Marshall C. Olds: Under Mallarmé’s Wing, in: FANA Quarterly 19/4, 2001, S. 6 –28.
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