Leseprobe
85 schon zu hören und zu sehen: Der letzten Silbe ail fehlt nur ein Buchstabe zu aile , dem Flügel. Die ihr vorausgehende Silbe vent entspricht als isoliertes Wort lautlich und (typo-) graphisch dem französischenWort für Wind; beide zusammen ergeben demnach bereits fast einenWind-Flügel. Das entsprechende Verb éventer /fächeln findet sich auch imAdjek tiv éventé wieder, das nicht nur ein schal gewordenes Getränk oder einen verflüchtigten Duft, sondern auch einen windigen Ort bezeichnen kann, einen lieu éventé . Im Anlaut des Wortes ist also bereits eine homonyme Analogie von Fächer und Flügel enthalten: Beide sind dazu geeignet, mit leichtem Schlag Luftzüge auszulösen, sanften Wind. Als klassische Metapher kann das Sprachbild des Flügels somit auf eine Reihe von optischen und strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Fächern und Flügeln verweisen. Es hat aber auch eine materiale Grundlage, denn seit jeher werden Fächer unter anderemaus 17 Fächer von GenevièveMallarmé aus weißemPapier, montiert auf Perlmutt, mit Gedicht von Stéphane Mallarmé in roter Tinte, Durchmesser 29,5 cm, in: Rollet (Hg.): Rien qu’un battement au cieux, S. 62, Nr. 30. Vgl. zur Geschichte dieser Gabe mit weiterführenden Hinweisen ebd., S. 5 und Kapitel 3.2. 18 Der Fächer für Misia Natanson ist mit einemVierzeiler beschrieben, der mit demVers: »Aile que du papier reploie« beginnt, also etwa: »Flügel aus nichts als gefaltetem Papier«, ebd., S. 5. Jacques Derridas Überlegungen zur Faltung und zum Fächer knüpfen an dieses Verb an: »La polysémie des ›blancs‹ et des ›plis‹ se déploie et se réploie en éventail«/»Die Polysemie/Vieldeutigkeit der ›Weißen‹ und ›Falten‹ entfaltet sich und faltet sich im Fächer«, Jacques Derrida: La double séance, in: La dissémination, Paris 1972, S. 199 – 318, hier S. 283. Man hat es also nicht mit einemThema, sondern mit einer Struktur zu tun, deren Vorausset- zung das weiße Papier ist; Derridas Formulierungen differenzieren jedoch nicht zwischen demWeiß als (Papier-)Farbe und dessen materieller Grundlage. Abb. 5 Fächer von Geneviève Mallarmé mit Gedicht Stéphane Mallarmés
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