Leseprobe

11 larmés solche unter Umständen sind. 4 Zur poetischen Papierkunst Mallarmés gehören aber auch, erstaunlicherweise, profane und wie zufällig vorhandene Papier-Etiketten von Cal- vados-Krügen oder gar die ›Mirlitons‹, dünne Stäbe, die mit schmalen Papierstreifen um- wickelt sind, beschriftet mit je zwei Versen. Auch für eine (noch zu schreibende) Litera- turgeschichte der Dinge und Objekte bieten diese neuartigen Artefakte somit eine reiche Auswahl, und Mallarmé selbst wollte mindestens den Adressengedichten auf Brief­ umschlägen auch in der Überführung ins Buchformat eine eigene Position im Gesamt seiner poetischen Texte geben. Umgekehrt ist eine interessante Bastelarbeit Mallarmés, die erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und bislang eher unter pädagogischen Aspekten betrachtet wurde, ob- gleich dem Titel nach eine Boîte/Schachtel , unmissverständlich als Buch gestaltet, das mit Cover, Rückseite, Verfassername, Titel und »Preis«/»prix« versehen ist. 5 Mit diesen Para- texten entsteht ein eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen dem beschrifteten Material und seiner behaupteten Medialität: Die so betitelte »Schachtel« besteht aus vier- zehn Blättern dünner Pappe und zwei ›Deckeln‹, Kartonblättern in auffällig roter Farbe aus etwas festerem Material, so dass man weder ein Buch im üblich gebundenen Codex-­ Format noch eine fertige Schachtel und doch zugleich beides vor sich hat (Kapitel 3.3.). 6 Womöglich liegt bereits in dieser Öffnung des Buchkörpers auch ein poetologischer Hin- weis: Japanische Bücher und auch europäische Künstlerbücher bestehen häufig nur aus lose ineinander gelegten Papierlagen, die durch Faltung an ihrem Platz gehalten werden, wie ohnehin auch in den deutschen Ländern bis ins 19. Jahrhundert der Handel mit Bü- chern de facto ungebundene Papierstapel betraf, die von ihren neuen Besitzern nach eige­ nem Geschmack und Vermögen gebunden wurden. für französische Sprache und Literatur 128 (2018), 2 – 3, S. 187 –211, hier S. 189. Die Fassungen der Erstaus- gabe weichen teilweise von denen der deutlich späteren Marchal-Edition ab, Stéphane Mallarmé: Vers de circonstance, hg.v. BertrandMarchal, Paris 1996.  4 BertrandMarchal: »Il faut ajouter que le titre Vers de circonstance , qui est bien de Mallarmé, n’impliqua pas pour autant que le mineur serait du côté du circonstanciel et le majeur de l’absolu: les poèmes des Poésies sonst aussi circonstanciels.«/»Es muss hinzugefügt werden, dass der Titel Vers de circonstance , der von Mallarmé selbst stammt, nicht etwa bedeutete, dass das Zweitrangige auf der Seite des Anlassgebundenen wäre und das Bedeutendere auf der des Absoluten: Die Gedichte der Poésies / Gedichte sind ebenso anlassbezogen.« Marchal: Éventails, »Éventails«, in: Rollet (Hg.): Rien qu’un battement, S. 30, Übersetzung CO. Unter den neueren Arbeiten zu den vers de circonstance ist für meine Untersuchung besonders eine 2014 veröffentlichte Dissertation von Interesse, die gleichfalls auch die Beziehung von Versen und Dingen in den Blick nimmt und als zentrale Frage »the meaning and understanding of materiality in Mallarmé’s work« benennt, Séverine C. Martin: Out of the Néant into the Everyday: A Rediscovery of Mallarmé’s Poetics, Columbia Univer- sity 2014, S. 5, http://docplayer.net/23278070-Out-of-the-neant-into-the-everyday-a-rediscovery-of-­ mallarme-s-poetics-severine-c-martin.html.  5 Stéphane Mallarmé: L’Anglais Récréatif. Eigenhändiges Manuskript, Paris, Bibliothèque littéraire Jacques Doucet, Bertrand Marchal, Marie-Pierre Pouly (Hg.): Mallarmé et L’Anglais récréatif. Le poète pédagogue, Ausst.-Kat. Paris 2014.  6 Der Katalog zur Pariser Ausstellung dokumentiert in leicht vergrößerten Farb-Abbildungen von sehr guter Qualität alle Karton- blätter und stellt sie in den Kontext zeitgenössischer Materialien zum Sprachunterricht, vgl. Marchal, Pouly (Hg.): Mallarmé et L’Anglais récréatif.

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