Leseprobe

6 allen als repräsentativ, im Gegenteil, es wurde auch harsch kritisiert. Das »Meißner Tageblatt« schrieb: »Nach den Bildnissen der Eltern und des Bruders ein so schrul- lenhaftes Portrait […] berührt die Grenze der Verzerrung […] vom Pikanten nur ein Schritt zur Karikatur.« 3 Zwint- scher mag das lebensgroße Bildnis seiner Frau als eine Art künstlerischen Leistungsnachweis im Jahr seiner Berufung an die Dresdner Kunstakademie bewusst zur Präsentation bestimmt haben – dem Massengeschmack entsprach das Werk damals aber offenbar nicht. Wenngleich der Ankauf nicht auf die Initiative von Woermann zurückging, hatte er das Bild nach dem An- kauf nachweislich bereits 1905 in die Dauerausstellung der Galerie im Semperbau am Zwinger integriert: In Raum 38 hing Zwintschers »Damenbildnis« unweit des monumentalen Gemäldes »Der Sommer« von Hans Ma- kart (1880/81; Kriegsverlust) und gegenüber von Hans Ungers »Die Muse« (1897; heute im Klingersaal) sowie Richard Riemerschmids »Der Garten Eden« (1896; Kriegsverlust) 4 – der letzte Saal im Rundgang der Galerie war also von Positionen der Gründerzeit und des Fin de Siècle wesentlich mitbestimmt. 1910 übernahm Hans Posse (1879–1942) in Woer- manns Nachfolge das Amt des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie. Zu seinen erklärten Zielen gehörte es, eine hohe künstlerische Qualität der Neuzugänge und einen Überblick über die aktuellen Kunstströmungen zu bieten. Schwerpunkte in der Moderne legte er auf die Malerei von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Sle- vogt, setzte aber die knappen Erwerbungsmittel neben vielem anderen immer wieder breit gestreut ebenso für einzelne Werke von Dresdner Realisten und auch Stil- künstlern ein. Posse war, im Gegensatz zu Woermann, nicht einmal Mitglied im Akademischen Rat. 5 Die Praxis des Rats, stets aus Kunstausstellungen nach jeweils vor- handenem Angebot und nicht gezielter aus dem Kunst- handel zu kaufen, missbilligte er 1912 und schrieb, es kämen bei dieser Art der Auswahl auf »ein bis zwei wert- volle Stücke immer vier bis fünf völlig gleichgültige, um nicht zu sagen schlechte Erwerbungen.« 6 Die beiden Pröll-Heuer-Ankäufe aus der umfassen- den Gedächtnisausstellung zu Oskar Zwintscher, die nach dem frühen Tod des Akademieprofessors1916 vom Sächsischen Kunstverein zu Dresden im Ausstellungs- gebäude auf der Brühlschen Terrasse veranstaltet wurde, sollten Posse aber kaum missfallen haben (S. 46, 84). 7 Sie gehören – aus heutiger Sicht – wohl zu jenen »ein bis zwei wertvollen Stücken«. Insbesondere die weit gestaffelte Landschaft »O Wandern, o Wandern!« ist eine originelle, vollendete Komposition, die sich im internati- onalen Maßstab der herrschenden Kunstmode messen konnte. Der Akademische Rat bot der Witwe des Künst- lers für die beiden in der Ausstellung mit 22000 Mark ausgezeichneten Gemälde 18000 Mark an, was Adele Zwintscher zwar als Geringschätzung ihres verstorbenen Gatten empfand, letztendlich aber akzeptierte. 8 Es gelangten also explizit über Künstlerinstitutionen, nicht durch Initiative des Museums selbst, besonders eigenständige und in ihrer Zeit moderne Gemälde Zwint- schers früh in Staats- und Museumsbesitz. Die Wahl dieser Werke war nicht vorrangig museal oder entwick- lungsgeschichtlich gedacht, sondern der zeitgenössi- schen, damals sogenannten Kunstpflege bzw. Künst- lerförderung im akademischen Umfeld verpflichtet. 9 Insgesamt lässt sich die allgemeine Zwintscher-Re- zeption im Jahr seines Todes anhand einiger Zahlen gut

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