Leseprobe
21 Sturm 1895 München 1896, über eine neue Ausstellung der Seces- sion am Königsplatz wurde berichtet: »Als Gewähr für die Zukunft der Secession kann nichts besser gelten, als der stete Neuanschluss vielversprechender Talente, wie sie jedes Jahr stattfindet. […] Da ist z. B. ein neuer Name, Oskar Zwintscher , der mit fünf, sechs größeren Arbeiten vertreten ist, die von prächtigem malerischen Können und von starker, wenn auch noch nicht ganz auf eigenen Wegen wandelnder Phantasie zeugen. Wie noch gar manche andere, steht auch er in einem Teil seiner Bilder im Banne des großen Schweizer Meisters [Böcklin], zeigt aber in den übrigen, dass er auch er selbst sein kann.« 1 Eines dieser Gemälde war der »Sturm« – »eine wilde Felsgegend mit antediluvianischen Menschengestal- ten«, 2 die angeblich aus Zwintschers unmittelbarer An- schauung eines mythologisierenden Gemäldes von Arnold Böcklin in der Münchner Schack-Galerie ent- sprang (»Pan erschreckt einen Hirten«, 1860); kompo- sitorisch näher ist jedoch eine frühere Fassung im Kunstmuseum Basel (um1859). Böcklins sonnendurchflutetes Meisterwerk – in dem vollkommene Windstille herrscht – konnte Zwintscher während eines Aufenthalts in München, aber ebenso als Reproduktion gesehen haben. Doch transformierte er es zu einer skurrilen Balgerei nordischen Charakters. Über mehrere Jahrzehnte hinweg wurde das Bild demgemäß auch »Spielende Trolle« betitelt, wodurch der karikatu- reske Grundton der Szenerie zum Ausdruck kommt. 3 Gleichwohl scheint sein Schöpfer jedoch weniger die beiden Figuren, sondern eher die bewegte Atmosphäre der Naturkulisse im Sinn gehabt zu haben, als er sein Werk »Sturm« nannte. Andererseits könnte man vermu- ten, dass ihm Shakespeares Bühnenstück »The Tempest« mit dem wilden Caliban und Ariels Naturgeistern nicht unbekannt war. In seinen Darstellungsmodi weist das Gemälde auf Zwintschers spätere Landschaftskunst andeutend voraus: »Noch ist die Farbe schwerflüssig, die Darstel- lung des Gesteins nicht genügend körperhaft und stofflich charakteristisch, und doch ist die Wiedergabe des Elementaren schon erstaunlich packend.« 4 In sei- nem anklingenden Hang zum Komödienhaften – einer Überlieferung zufolge entstand die Bildidee bei der Betrachtung eines scherzhaften Handgemenges in der Dresdner Heide 5 – zeigt sich das Werk aber auch Zwintschers Tätigkeit als Zeichner für die humoristi- schen »Meggendorfer Blätter« verpflichtet und bietet Vergleiche zu ähnlich gesinnten Münchner Künstlern wie Adolf Oberländer (1845–1923) , der u. a. für die »Fliegenden Blätter« arbeitete. Adolf Oberländer: Siesta, vor 1897 Öl auf Pappe, 50×80 cm Albertinum, SKD, Gal.-Nr. 2409
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