Leseprobe

20 bildeten sich nun zwei konfessionell geprägte und bald schon kriegsbereite Fürstenbünde im Reich: Zum einen die protestantische Union (1608) unter Führung des calvinistischen Kurfürsten von der Pfalz, zum anderen die katholische Liga (1609), an deren Spitze Herzog Maximilian I. von Bayern stand, der Münchner Vetter des Pfälzer Kurfürsten. Das lutheri- sche Kursachsen trat der protestantischen Union nicht bei, sondern tendierte getreu seiner politischen Linie in der Folgezeit eher zur katholischen Liga: »Politice seint wir Bäpstisch« (katholisch) – so die Selbstein- schätzung kursächsischer Räte 1610.3 Im problema- tischen Familienstreit der Habsburger stützte Kur­ sachsen das immer schwächer werdende Kaisertum Rudolfs II.Die durch diese Politik erlangte Belehnung mit den niederrheinisch-westfälischen Territorien des letzten Herzogs von Jülich, Kleve und Berg (1610) konnten die Wettiner faktisch nicht durchsetzen; unter Vermeidung eines europäischen Krieges teilten die erfolgreicheren Konkurrenten Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg diesen bedeutenden Territorial- komplex unter sich auf (1614). Mit dem Reformati- onsjubiläum von 1617 erreichte die Mobilmachung der Konfessionsparteien ihren Höhepunkt. In dieser aufgeheizten Stimmung begann nur ein Jahr später, 1618, ein großer Krieg, der erst nach 30 Jahren als europäischer »Staatsbildungskrieg« (Burkhardt) zu Ende gehen sollte. Nicht zuletzt die ungeheuren Ak- tenberge in den Archiven legen Zeugnis ab von dieser fernen Katastrophe der deutschen und europäischen Geschichte: Allein die beiden Dresdner Aktenserien Unruhe im Königreich Böhmen (65 Bücher, 1618–1622) und Kriegswesen im Reich (125 Bücher, 1620–1634) stehen für die Dimension des Krieges.4 Spektakulär eingeleitet mit dem berühmten Prager Fenstersturz kaiserlicher Räte, kam es 1618 im benachbarten Königreich Böhmen zu einer Revolte der mehrheitlich protestantischen Stände gegen die Herrschaft der katholischen Habsburger. Nach der Ablehnung der ihm angebotenen Wenzelskrone durch Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen wählten die Stände 1619 den Führer der protestantischen Union, den calvinistischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, zum neuen König von Böhmen. Der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand II. verbündete sich mit der von Bayern geführten katholischen Liga und vertrieb Ende 1620 den deshalb spöttisch als »Winterkönig« bezeichneten Friedrich V., der zudem 1623 noch seine Kurwürde und die Oberpfalz an sei- nen siegreichen bayerischen Vetter Maximilian I. ver- lor. In Dresden hingegen war die böhmische Stände- erhebung nach vergeblichen Ausgleichsbemühungen ausschließlich als politische und keineswegs konfes- sionelle Angelegenheit gesehen worden.5 Nachdem Kursachsen auf dem Fürstentag von Mühlhausen (1620) konfessionelle Besitzstandsgarantien von Kai- ser und Liga erhalten hatte, unterdrückte Johann Georg I. im Auftrag des Kaisers die protestantischen Aufstandsbewegungen in den Nebenländern der böhmischen Krone, Ober- und Niederlausitz sowie Schlesien (ABB. 1) . Als Ersatz für seine Kriegskosten erhielt der Kurfürst die beiden Lausitzer Markgraf- schaften zunächst als Pfandbesitz. Die Dresdner Politik zu Beginn des Krieges sorgte vor allem in der älteren Geschichtsschreibung für erhebliche Irrita- tionen, da sie politische und rechtliche Erwägungen über die scheinbar vorgegebene konfessionelle Soli- darität stellte. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die kursächsische Haltung während des böhmischen Konflikts im Reich durchaus großen Anklang fand und zunächst einen allgemeinen Religionskrieg ver- hindert hat.6 Nachhaltig geprägt von dem dramati- schen Wechsel der sächsischen Kurwürde von den Ernestinern auf die Albertiner im Jahr 1547, einem dynastischen Schlüsselerlebnis aller Wettiner, dachte man in Dresden auf der Grundlage des Augsburger Religionsfriedens von 1555 unverändert kaisertreu, überkonfessionell und nicht zuletzt streng rechtlich. Für verschiedene Besitzungen (wie etwa das Vogt- land) Lehnsmann des legitimen habsburgischen Kö- nigs von Böhmen, darüber hinaus verbunden durch eine letztmals 1587 erneuerte Erbeinigung mit Böh- men, war der sächsische Kurfürst freilich ebenso for- malrechtlich zum Beistand verpflichtet. Mit Kriegsbeginn zeigten sich – wie andern- orts auch – zwei substanzielle Defizite des kursäch- sischen Territorialstaats: das Fehlen einer schlag­ kräftigen Armee7 und eine hohe Staatsverschuldung

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