Leseprobe
44 Reichspolitisch und konfessionell war Johann Georg I., der Familientradition folgend, kaisertreu geblieben. Dabei galt es, nie frei von Konflikten und Kompro- missen, die Interessen der protestantischen Union und der katholischen Liga im Gleichgewicht zu hal- ten.4 Zwei Großereignisse des Jahres 1617 illustrieren diesen teils riskanten Balanceakt: Ende Oktober fei- erte man in der Residenzstadt das 100-jährige Jubi- läum der lutherischen Reformation.Diesem Ereignis vorangegangen war der Besuch von Kaiser Matthias, der am 15. Juli 1617, begleitet vom böhmischen Kö- nig Ferdinand und Erzherzog Maximilian, in Dres- den eintraf. Thomas Avenarius gilt als Chronist der Festlichkeiten; sein 1618 in Bautzen gedrucktes Büchlein als wertvolle Quelle.5 Avenarius beschreibt ein zeremonielles Szenario von überwältigender Symbolkraft: Johann Georg I. reiste mit einem Schiff und 163 farbenprächtig gekleideten Mann Besatzung den hohen Gästen auf der Elbe entgegen.6 Auf der Höhe von Schandau trafen die Schiffe mit Kaiser, König und Erzherzog auf das Schiff des Kurfürsten: »Mitten auff der Elb untern Himmel frey / [...] / Must unser gnedigstr Herre gehn / Aus seinen Schiff [...] / Zu Ihre Majestaet must setzen sich / Der Chur- fürst unser Landes Herr / Ihn ward bewiesen grosse Ehr / Lieblich gespraech haben sie mit einandr Ge- halten / eines umb das andr / Denselben gantzen hal- ben Tag / Wie mans nicht anders sagen mag.«7 Das erwähnte »lieblich gespraech« war ein politischer Akt auf höchster Ebene: Der Kurfürst verließ das eigene Schiff und betrat das Schiff des Kaisers. In schwieriger Zeit, kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, begegneten sich zwei Herr- scher als »Schiffslenker« in dezidiert machtpoliti- schem Sinn. Die Ankunft von Kaiser, König, Erz- herzog und Kurfürst in Dresden wurde mit einem monumentalen Spektakel unter freiem Himmel ge- feiert, sodass man glaubte, eine Seemacht vor Augen zu haben. Zwischen dem kurfürstlichen und dem kaiserlichen Segler bewegte sich ein schwimmendes Schaubild mit der imposanten Figur des Neptun , der aufrecht stehend in einem muschelförmigen Boot als Bändiger der Meerrösser agierte, wie ein Detail aus dem großformatigen, heute stark beschädigten Ge- mälde zum festlichen Einzug des Kaisers zeigt.8 Die- ser Quos-Ego -Topos, benannt nach dem ungestümen Ruf, den Neptun (nach Vergil, 1. Buch der Aeneis, 135) den tosenden Winden entgegen geschleudert hatte, übernahm auf dem Elbestrom eine herrscher- ikonografisch bemerkenswerte Hauptrolle. Jacob Zeller, als einer der »fürnemsten« Hof- künstler der Stadt, um den Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer bei seinem Besuch in Dresden im Oktober 1617 zu zitieren,9 muss diesen Empfang des Kaisers hautnah miterlebt haben. Sobald man diese Vorstellung erlaubt, lässt sich eine Überlegung an- fügen, die so noch nie formuliert worden ist: Dieses gigantische Schauspiel auf der Elbe kann (oder muss) die wichtigste Inspirationsquelle gewesen sein, die Zeller zum ikonografischen Programm seiner Fre gatte geführt hat. Damit ist nicht gesagt, diese sei nur entstanden, um an den Kaiserbesuch 1617 zu erin- nern. Sehr viel mehr war die Fregatte ein für die Iden- tität des Herrschergeschlechts der Wettiner konzi- piertes Werk der ars memorativa , das im nicht mehr friedlichen Sommer 1620 seine politische Wirkung nicht verfehlte.10 Noch war die Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) nicht geschlagen, als Johann Georg I. für die Belagerung von Bautzen und den Marsch seiner Truppen in die böhmische Lausitz rüs- tete.11 In dieser kriegerisch aufgeheizten Atmosphäre ließ der Kurfürst am 31. August 1620 die Summe von 3 000 Gulden von der Rentkammer auszahlen.12 Johann Georg I. bezahlte nicht Truppen oder Kriegs- gerät, sondern die Fregatte aus Elfenbein, mit der Zeller kurz vor seinem Tod am 28. Dezember 1620 das f inale furioso seiner Kunst erreicht hatte. Das Kunstwerk wurde im Großen Eckgemach der Kunstkammer aufgestellt – unweit von zwei Auto- maten-Schiffen des Augsburgers Hans Schlottheim.13 Diese huldigten Rudolf II., der inmitten winziger Figuren der sieben Kurfürsten an Bord war und den Kurs bestimmte. Fernab jeglicher Realität funktio- nierte dieses »Staatsschiff« perfekt als politische Me- tapher.14 Es ist mehr als naheliegend, dass Jacob Zel- ler diese Automatenwerke und deren imperiale Iko- nografie gekannt hat. Zeller kann noch ein weiteres
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