Leseprobe
79 schen Provinzen gedeutet.4 Die Entstehungsum- stände des Gemäldes sind nicht eindeutig geklärt, jedoch ist die Klage über die Schrecken des Krieges als Zeichen der Zeit unverkennbar. Während des bereits seit 1568 anhaltenden Krieges in den Niederlanden, in dem die Großmacht Spanien die Ablösung der sieben nördlichen Provin- zen von dem habsburgischen Herrschaftsgebiet zu verhindern versuchte, reiste Rubens 1629 in diploma- tischer Mission nach London, um sich bei Charles I. für den Abschluss eines Friedensvertrags zwischen England und Spanien einzusetzen. Um seiner Ab- sicht Nachdruck zu verleihen, schenkte der Künstler- diplomat dem König ein Gemälde, das die Seg nungen des Friedens darstellt.5 Hierfür wählte Rubens die Bildsprache der antiken Mythologie. Ins Zent- rum der Komposition setzte er eine nackte weibliche Figur, die ihrem Sohn Milch spendet und als Ver- körperung des Friedens (Pax) zu deuten ist. Hinter ihr ist die Göttin der Weisheit, Minerva, zu sehen, die energisch versucht, den gerüsteten Kriegsgott Mars von Pax fernzuhalten.Gelingt es ihr,Mars dau- erhaft zu vertreiben – so die Botschaft des Bildes –, stellen sich die Wohltaten des Friedens ein. »Ex pace ubertas« (aus dem Frieden erwächst Überfluss) lau- tete ein damals geläufiges Motto, worauf in dem Ge- mälde durch Sinnbilder der Fruchtbarkeit, darunter ein Vorrat an Früchten, angespielt wird.6 Kurze Zeit nach Rubens’ Rückkehr nach Ant- werpen entstand um 1630 eine Werkstatt-Wieder holung des Gemäldes.7 Diese diente wiederum als Vorbild für eine weitere, stilistisch variierte Kopie (ABB. 2) . Die mehrfache Wiederholung der Kompo- sition zeigt die Bedeutung, die demThema Krieg und Frieden als Ausdruck der Friedenssehnsucht beige- messen wurde. Ein besonders eindrückliches Beispiel einer spezifisch künstlerischen Stellungnahme zum Zeitgeschehen lieferte Rubens schließlich 1637/38 mit seinem Gemälde Schrecken des Krieges , das der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt als »das ewige und unvergeßliche Titelbild zum Drei- ßigjährigen Kriege« bezeichnete.8 Neben dem Rückgriff auf die antike Mytho- logie wählten die Künstler aber auch ganz konkrete, zuweilen schonungslos direkte Darstellungsformen, um die Schrecken des Krieges zu veranschaulichen. In einem Terrakotta-Relief aus einer Serie der Fünf Sinne schilderte der Bildhauer Georg Pfründt, wie ein Feldarzt den Kopf eines Verletzten untersucht (ABB. 3) . Dessen schmerzverzerrtes Gesicht lässt un- schwer erkennen, dass es sich bei dieser Szene um die Darstellung des Tastsinns (Tactus) und die Allegorie des Gefühls handelt. Pfründt, der unter Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar selbst am Dreißig- jährigen Krieg teilgenommen hatte und zwischen- zeitlich in Gefangenschaft geraten war, wird bei der Ausführung des Reliefs sicher eigene Kriegserfah- rungen verarbeitet haben. 3 Tactus – Allegorie des Gefühls Georg Pfründt, 1636, Terracotta, H. 15,1 cm, B. 11 cm, T. 3,5 cm, München, Bayerisches Nationalmuseum, Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung, L 2012/35
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