Leseprobe

8 Japanische Kunst war in Europa ab den 1860er Jahren en vogue. Die Öffnung des ostasiatischen Landes unter dem Meiji-Kaiser Mutsuhito (1852–1912) und die Teilnahme Japans an den Weltausstellungen 1867, 1878, 1889 in Paris und 1873 in Wien führten zu einer regel- rechten Japan-Euphorie. Kunsthandwerkliche Objekte und Möbel, aber auch Werke der bildenden Kunst, etwa Malereien und Farbholz- schnitte, gelangten auf den europäischen Markt und in die Galerien. Es ist nur folgerichtig, dass auch das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe, das heutige Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), japanische Kunst zeigte und zu sammeln begann. So ver- merken die Verwaltungsberichte für die Jahre 1896/97 und 1897/98 die Ausstellung einer Sammlung japanischer Kunstblätter und Arbeiten 1 bzw. »96 japanischer Farbholzschnitte und 60 Original-Aquarelle japanischer Künstler«. 2 Ob es sich um die gleiche Ausstellung handelt, kann nur vermutet werden. Sicher aber ist, dass genau in diese Zeit die erste Erwerbung japanischer Grafiken für das Museum fiel. Der in Halle (Saale) ansässige August Wilhelm Friedrich Kuhnt (1836–1927) (Abb. 1) schenkte im Dezember 1897 ein umfangreiches Konvolut an Farbholzschnitten, darunter zahlreiche Einzelblätter, drei Triptychen, zwei Reihenbilder sowie drei Bücher mit Holzschnitten. Kuhnt war als gelernter Zimmermann und Maurermeister ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem geschäftstüchtigen Bauunternehmer aufgestiegen, der die Stadt Halle (Saale) während ihres wirtschaft- lichen Aufschwungs in den Gründerjahren maßgeblich in ihrem Stadt- bild beeinflusste, etwa in der nördlichen Stadterweiterung mit dem Paulus-Viertel. Als Aktionär und Besitzer einiger Fabriken, etwa zur Herstellung von Ziegelsteinen, gehörte er zu den wohlhabendsten Bürgern der Stadt. Ihm lag das soziale und wirtschaftliche Wohl der Bürger am Herzen, und er unterstützte neben sozialen Einrichtungen 3 vor allem das noch junge Städtische Museum für Kunst und Kunst- gewerbe, das 1885 seine ersten Räumlichkeiten im Eich- und Waage- amt am Großen Berlin bezogen hatte. Neben seiner Tätigkeit als Schatzmeister des 1882 gegründeten Kunstgewerbevereins wurde er 1892 zum Mitglied der Museumsdeputation gewählt. Fortan enga- gierte er sich in besonderem Maße für die Belange des Museums und stiftete 1906 eine Summe von 50.000 Mark für den Beginn des Aus- baus der ruinösen Moritzburg zum Museumsstandort. Auch in den folgenden Jahren sorgte er für finanzielle Mittel, um die Erweiterung und Gestaltung des Museums voranzubringen, aber auch den Ankauf von Objekten zu ermöglichen. 4 Auffällig dabei ist, dass er häufig die Finanzierung des Ankaufs von Werken aus dem Kunsthandel oder Privatbesitz übernahm, um sie nachfolgend dem Museum zu schen- ken. Beispiele hierfür sind die umfangreiche Erweiterung der Orna- mentstichsammlung um 814 Blätter, die Finanzierung der auf Ablehnung gestoßenen Gemälde Blumengarten mit Figuren (1908) und Abendmahl (1909) sowie weiterer Arbeiten auf Papier von Emil Nolde (1867–1956). Zudem ließ er sich, um eine kleine Porträtsammlung moderner Meister für das Museum aufzubauen, von dem bedeutenden deutschen Impressionisten Max Liebermann (1847–1935) porträtie- ren und schenkte das Gemälde anschließend dem Museum. Die Grafische Sammlung erhielt im Januar 1898 – also fast zeit- gleich zu den japanischen Farbholzschnitten – auch 87 japanische Tuschezeichnungen der Kanō-Schule von Kuhnt geschenkt. Diese Blät- ter stammten ursprünglich aus dem Besitz von Frau Brauns in Halle (Saale), wie ein Hinweis im Inventarbuch verrät. 5 Zwar ist dieser Hin- weis für die Farbholzschnitte nicht gegeben, aber die zeitliche Nähe und der Umfang der Schenkung legen auch für sie die Herkunft aus der Sammlung Brauns nahe. Caroline Wilhelmine Emma Brauns (1836–1905), geborene Eggers, war Schriftstellerin und Witwe des Mediziners, Geologen und Hoch- schullehrers David August Brauns (1827–1893) (Abb. 2). Dieser unter- richtete an der Universität in Halle (Saale) und lehrte von 1879 bis 1881 an der Universität Tōkyō als ordentlicher Professor für Mineralogie, Geologie und Paläontologie. 6 Spätestens bei dem dortigen Aufenthalt des Ehepaars entwickelte sich ein besonderes Interesse an der Kultur Japans. 7 David Brauns sammelte japanische Märchen und Sagen, die er nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1885 in Leipzig herausgab. 8 Im Jahr 1890 erschien in Paris seine Publikation Traditions japonaises sur la chanson, la musique et la danse, die zeigt, wie tief er sich mit der japanischen Kultur auseinandergesetzt hatte. 9 Das Buch traf dort sicher- lich den Nerv der Zeit. Das Japan-Fieber hatte die Menschen ergriffen, und in der Kunst spiegelte sich die Auseinandersetzung mit der fernöst- lichen Kultur im Japonismus. Auch Brauns’ Frau war diesem Kulturkreis zugetan, denn sie brachte 1889 mit Illustrationen von Otto Försterling (1843–1904) eine Sammlung japanischer Märchen für Kinder heraus und schrieb einen Roman über den Konflikt zwischen der traditionellen japanischen Auffassung von Liebe und Ehe und dem neuen, aus dem Westen kommenden Verständnis der Geschlechterrollen. 10 Über die Ausstellung japanischer Grafik 1896/97 bzw. 1897/98 hinaus wurden Objekte der Sammlung Brauns 1902 in Halle (Saale) in der Ausstellung von Kunstwerken aus hallischem Privatbesitz ver- anstaltet vom Kunstverein und Kunstgewerbe-Verein ausgestellt. Die Präsentation war für etwas mehr als zwei Wochen in der Villa des Mediziners und Universitätsprofessors Ernst Kohlschütter (1837– 1905) zu sehen. 11 Neben Werken der bildenden Kunst und kunst- handwerklichen Objekten aus Europa wurden 105 Werke japanischer und chinesischer Kunst gezeigt. Aus der Sammlung Brauns stammten kleinere Möbelstücke, japanische Textilien, ein Wandschirm sowie Porzellane, die sicherlich direkt während des Aufenthalts des Ehe- paars in Japan erworben wurden. 12 Von Bewunderung und Desinteresse Anmerkungen zu Erwerb und Herkunft japanischer Farbholzschnitte in der Grafischen Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) Susanna Köller

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