Leseprobe
Carl Ludwig Bille Kopenhagen 1815–1898 Kopenhagen Im Gegensatz zu Kollegen wie Anton Melbye oder Carl Frederik Sørensen erlangte Carl Bille erst in höheren Jah ren Bekanntheit als Marine maler. Er ging als Segelmacher zur See, bevor er sich 1850 der Malerei zuwandte. Bille arbeitete, abgesehen von einer einjährigen Ausbildung bei dem Marinemaler Carl Dahl, als Autodidakt.1 1868 erhielt er ein Stipendium für das Studium an der Kopen hagener Akademie. Bilder aus den 1860er Jahren zeigen Motive aus Nordamerika, China und Sizilien. Ob die Bilder tatsächlich auf Reisen entstanden sind, ist unklar, da er die Örtlichkeiten auch während seiner Zeit als See mann gesehen haben konnte. Jedoch zeugt eine Reihe von Fotografien aus Billes letzten Lebensjahren, die Motive aus Norwegen, den Nieder landen sowie dem Atlantik- und Mittelmeerraum zeigen, von seiner großen Reiselust. G 3965 Aufgewühlte See mit Schiff E in Segelschiff ist in einen Sturm geraten. Allein die beiden Mastspitzen und die oberen Toppsegel ragen mit einiger Krängung aus den Wassermassen. Gut getarnt passt sich der einsame Zweimaster dem Grau von Meer und Himmel an. Allein die weißen Schaumkronen und das Gefieder der Möwen lockern die Gemengelage an düster- drückenden Valeurs etwas auf. Zeit, Ort und Identität des Schiffes werden nichtig angesichts der Naturgewalt, die den Raum stärker beherrscht als menschliches Geschick. Wie der Seg- ler auf den Wellen wird der Betrachter ohne Informationen zur Verortung der Szene mit demzeitlosenMotiv allein gelassen. Allerdings verweisen die Seevögel auf dieMöglichkeit eines nicht allzu fernen Ufers. Das geringe Format und der grobe Strich erwecken den Ein- druck einer Ölskizze. Das Werk ist undatiert, ähnelt allerdings in Komposition und Bild- ausschnitt einemGemälde Billes aus dem Jahr 1863.2 Und auch ein anderes Gemälde kommt angesichts der Isolation in derWeite desMeeres unweigerlich in den Sinn: Meereseinsamkeit (1852) von Anton Melbye. Dieses den Betrachter durch seine räumliche Unendlichkeit ver- unsichernde Werk, in dem Melbye ganz auf ein Schiff verzichtete und zwei Möwen eben- falls die einzigen Lebewesen darstellen, steht beispielhaft für das Neue und Unbekannte.3 Bei Bille wird die Fremdheitserfahrung zwar durch das Vorhandensein eines Schiffes abge- mildert, dennoch wirkt es, als habe er sich hier – zwar noch in geringer Größe und dement- sprechend zaghaft – durchaus an »neuen« Bildsituationen à la Melbye erprobt. CB Öl auf Papier, auf Pappe aufgezogen, 17 × 19,5 cm /Bezeichnet unten links: Carl Bille / Provenienz: Bruun Ras mussen 2014, Kat.-Nr. A1443/154
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1