Leseprobe

Zu Beginn stand eine so grundlegende wie weitreichende Frage: Wie nördlich ist die Romantik? Oder etwas spezifischer: Hat sich nach 1800 eine Bildsprache mit spezifisch nördlichen Motiven in der Kunst Europas etabliert? Der Norden als Tabula rasa, als das angeblich Unberührte und Wilde funktionierte seit dieser Zeit als Sehnsuchtsort und Pro- duktionsstätte zahlreicher romantischer Mythen undwirkt bis heute als solcher nach. Dabei steht er auch für Unzugänglichkeit, für Kälte und Eis oder für die hier »oben« besonders empfundene Einsamkeit – auchwenn diese nur lediglich projiziert war. Aber wie sah dieser Norden in den Bildern konkret aus? Wodurch konnte der Norden überhaupt als Norden identifiziert werden? Welche Naturphänomene in Landschaften fanden als Bildthemen Eingang in die Kunst, die vorab weniger oder gar nicht auf den Bildern zu entdeckenwaren? Haben Techniken der wissenschaftlichen Landschaftsdarstellung sowie die Betonung ethnischer Merkmale etwa zu nationaler Isolation geführt? Oder war das Nördliche in der Malerei der Romantik doch eher ein internationales Phänomen? Der Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der Natur vollzog sich in den ersten Jahr- zehnten des 19. Jahrhunderts, als sich das Genre der Landschaftsmalerei von seiner eher nachgeordneten Position löste und imKanon der angesehensten Kunstgattungen etablierte. Neue Herangehensweisen an die künstlerische Produktion wurden in den Akademien erprobt, und innovative Methoden wie die des Malens en plein air, der Freilichtmalerei, wurden ein wesentlicher Bestandteil der Lehre. Die mimetische Darstellung der Bäume, Wolken, Wellen und Berge ermöglichte nicht nur eine genauere Beobachtung, sondern konnte dem Bild auch neue, individuelle Eindrücke verleihen. Hier verdichtete sich das von Caspar David Friedrich eingeforderte Spezifikum der romantischen Landschafts­ malerei – dass sie nicht nur abbilden solle, was der Künstler vor sich sehe, sondern auch das, was er in sich fühle – wobei gerade bei Friedrich immer auch ein signifikanter Gottes- bezug bestimmend blieb. Die Naturmotive wurden also durch ein intensives Naturstudium und eine präzise Beobachtung vorbereitet, so wie bei dem Engländer John Constable, dem Norweger Johan Christian Clausen Dahl und eben demGreifswalder Friedrich. Wie konnte nach 1800 nun aber eine spezifisch nordische Bildwelt auf den Leinwänden entstehen, die auch Naturphänomene wie Nebel, Wolken, oder Schnee umfasste? Oft wurden auch Orte mit historischen Zeugnissen aus vergangenen Epochen als Motive ausgewählt, wie die Ruinen des Klosters Eldena in Greifswald oder die Hünengräber, die sich nicht nur bei Friedrich, sondern etwa auch bei den Gemälden und Zeichnungen des Dänen Martinus Der Norden als Thema in der Malerei der Romantik EIN KURZER FORSCHUNGSÜBERBLICK KILIAN HECK

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